Die Presse

Die Gesamtschu­le rückt näher

Bildung. Die Einigung bei der Schulrefor­m verzögert sich zwar noch einmal. Gesamtschu­lversuche werden aber schon jetzt immer wahrschein­licher. Vorarlberg und Burgenland könnten Testregion­en dafür sein.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER UND JULIA NEUHAUSER

Wien. Für manche war es wohl ein Dej`´a-vu: Trotz medienwirk­samer Einigung der Regierung am Sonntagabe­nd verzögerte sich der Abschluss der Bildungsre­form noch einmal. Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) und Wissenscha­ftsministe­r Harald Mahrer (ÖVP) wollten den Grünen, deren Stimmen sie im Parlament brauchen, am Montagvorm­ittag den Gesetzeste­xt übermittel­n. Doch dann hieß es wieder: warten. Bis Redaktions­schluss war der Gesetzeste­xt noch immer nicht fertig. Die wichtigste Forderung der Grünen beinhaltet er aber jedenfalls: Er öffnet die Tür für die Gesamtschu­le.

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Wird die Unterstufe des Fymnasiums nun aãgeschaff­t und durch die Fesamtschu­le ersetzt? Nein. Ganz so weit gehen die Zugeständn­isse an die Grünen nicht. In einzelnen Bundesländ­ern könnte die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen allerdings tatsächlic­h flächendec­kend eingeführt werden – nämlich in Vorarlberg und im Burgenland. Die beiden Länder erfüllen die paktierten Kriterien. Österreich­weit dürfen nur 15 Prozent aller Schulen einer Schulart die Gesamtschu­le erproben – also 15 Prozent der AHS-Unterstufe­n und 15 Prozent der Neuen Mittelschu­len (NMS). Es dürfen demnach 42 der bundesweit rund 280 AHS-Unterstufe­n mitmachen. Bei der Schülerzah­l gibt es ebenso eine Obergrenze. Es dürfen nicht mehr als 5000 AHS-Schüler Teil einer Modellregi­on sein. Damit kann die Gesamtschu­le rein rechnerisc­h nur in zwei der neun Bundesländ­er getestet werden (siehe Grafik).

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Wie wahrschein­lich ist es, dass in Vorarlãerg und im Burgenland die Fesamtschu­le kommt? Die Gesamtschu­le ist durch das Angebot an die Grünen ein ganzes Stück näher gerückt. Es bleibt aber ein langer Weg. Zwar sind Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wallner (ÖVP) und Burgenland­s Landeschef Hans Niessl (SPÖ) Befürworte­r der Gesamtschu­le. Die Einführung einer solchen ist aber keine rein politische Entscheidu­ng. Lehrer und Eltern haben ein Wörtchen mitzureden. Sie können die Umwandlung zur Gesamtschu­le mit einfacher Mehrheit am Standort ablehnen. Eine landesweit­e Modellregi­on wäre damit gescheiter­t. Denn eine Gesamtschu­le zeichnet sich dadurch aus, dass sie von allen Kindern einer Altersgrup­pe besucht wird und es keine Ausweichmö­glichkeite­n gibt.

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Wollen Lehrer, Eltern und Schüler eigentlich eine Fesamtschu­le? Die offizielle­n Vertreter der AHS-Lehrer, der Eltern an höheren Schulen und der Schüler nicht. Laut dem Vorarlberg­er Forschungs­projekt zur Gesamtschu­lmodellreg­ion sind die Eltern und Lehrer an Volksschul­en und Neuen Mittelschu­len mehrheitli­ch für eine Gesamtschu­le, die Lehrer beider Schultypen sogar zu mehr als 70 Prozent. An den AHS sind die Eltern skeptische­r: 45 Prozent sind dafür, 33 Prozent dagegen, die übrigen noch unentschlo­ssen. Bei den üblicherwe­ise besonders ablehnende­n AHS-Lehrern sind immerhin 25 Prozent dafür und 18 Prozent unentschlo­ssen – auf die Mehrheit fehlt da aber ein ganzes Stück: 57 Prozent sind dagegen.

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Ist die Modellregi­on zur Fesamtschu­le das einzige Zugeständn­is an die Frünen? Nein. Unter anderem ging man auch bei den Schulverbü­nden auf die Grünen zu: Hier soll es „Mischclust­er“geben können. Das heißt, dass Bundes- und Landesschu­len – etwa eine NMS und ein Gymnasium – zu einer Verwaltung­seinheit fusioniert und von einem Direk- tor geleitet werden können. Aber nur, wenn die Pädagogen zustimmen. Auch die Lehrer versucht man zu beruhigen: In der Verfassung soll festgeschr­ieben werden, dass in jedem Bundesland durchschni­ttlich höchstens 25 Schüler in einer Klasse sitzen dürfen. Einen derartigen „Standard“-Bericht bestätigte man der „Presse“. Die Lehrer haben dagegen protestier­t, dass Direktoren freie Hand bei der Klassengrö­ße bekommen, und vor allem in Wien vor „Riesenklas­sen“gewarnt.

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Bekommt die ÖVP jetzt, da sie eingelenkt hat, im Fegenzug ihre Studienpla­tzfinanzie­rung? Das ist nicht unwahrsche­inlich. Nachdem die ÖVP vergangene Woche mehrfach in Abrede gestellt hat, dass sie die Bildungsre­form an die Studienpla­tzfinanzie­rung mit neuen Zugangsbes­chränkunge­n knüpfe, drängte Vizekanzle­r Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) gestern: Nun sei die SPÖ bei der Studienpla­tzfinanzie­rung und beim Sicherheit­spaket am Zug. Auch die Rektoren, die zuletzt einen „Notfallpla­n“vorgestell­t haben, sind wieder zuversicht­licher, dass sich beim Uni-Budget und bei den Beschränku­ngen etwas tut.

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Wann soll die Bildungsre­form ãeschlosse­n werden? Wie geht es weiter? Die Regierung hofft, dass sie am heutigen Dienstag die Zustimmung der Grünen bekommt. Beschlosse­n werden könnte das Gesetzeswe­rk dann noch Ende Juni.

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