Der Elefantenfriedhof der Sozialisten
Frankreich. Die Bewegung des Präsidenten, Emmanuel Macron, steuert bei der Stichwahl am Sonntag auf eine absolute Mehrheit zu. In der Opposition kommt Angst vor einer Hegemonie auf.
Paris. Diesmal waren die Superlative für die Wahlsieger und das Katastrophenvokabular für die Verlierer nicht übertrieben. Schon vor den Parlamentswahlen in Frankreich war ein „Tsunami“oder eine „Flutwelle“erwartet worden, oder auch ein „Big Bang“. Die Vorahnungen haben sich bestätigt. Die Ergebnisse vermitteln nur einen schwachen Eindruck der tatsächlichen Lage nach dieser Umwälzung an den Wahlurnen. Die Kalkulationen, die ausgehend von der Ausgangssituation vor den Stichwahlen am kommenden Sonntag eine übergroße absolute Mehrheit für Präsident Emmanuel Macron ankündigen, sind signifikanter.
In Frankreich kommentiert man aber auch die unzähligen bezeichnenden Einzelschicksale. Die Parteiprominenz von links und rechts bezahlt einen enormen Preis für Macrons Triumph. Wenn Macron bei diesen Wahlen richtiggehend abräumt, geht dies auf Kosten der beiden großen Lager der Sozialisten (PS) und der Konservativen (LR). Am Sonntag endet ein Kapitel ihrer Vormacht in der französischen Politik. Dies illustrieren ein paar Beispiele: Im Norden der Hauptstadt Paris konnte sich der sozialistische Parteichef, Jean-Chri- stoph Cambadelis,´ der seinen Wahlkreis seit 20 Jahren hielt, nicht einmal für die Stichwahl qualifizieren. Auch der PS-Präsidentschaftskandidat Benoˆıt Hamon und mehrere Mitglieder der Regierung von Francois¸ Hollande sind im ersten Durchgang sang- und klanglos, oft mit weniger als 10 Prozent der Stimmen, ausgeschieden.
Für diese „Elefanten“der PSProminenz hatten die Wähler auch in den ehemaligen linken Bastionen in Nordfrankreich oder im Südwesten keinerlei Nachsicht. Außer in wenigen Fällen – etwa bei Ex-Premier Manuel Valls, wo Macrons Bewegung keine Gegenkandidaten aufstellen ließ – enden diese politischen Schwergewichte alle auf dem „Elefantenfriedhof“, schreiben „La voix du Nord“oder auch „L’Express“.
Symbolische Guillotine
Die Sozialisten sind nicht allein betroffen. In ähnlicher Weise wurden auch die Ex-Parteichefinnen der Grünen und Ex-Ministerinnen, Ce-´ cile Duflot und Emmanuelle Cosse, von den Wählern aus dem Rennen eliminiert. Auch bei den Konservativen fielen am Sonntag viele Kandidaten mit Rang und Namen durch.
Der Erfolg von Macrons Bewegung La Republique´ en marche (REM), ist so durchschlagend, dass er vor allem für die Parti Socialiste und deren Verbündete der abgewählten Regierungsmehrheit keinen Platz lässt. Diese büßen damit für Hollandes unbefriedigende Bilanz, in einem weiteren Sinn aber auch für das generelle Missbehagen über die traditionellen Parteien und Institutionen. Das Wahlergebnis ist eine Sanktion für das bisherige Establishment. Zugleich belegt es, dass die Lust aufs Neue so groß ist wie die Enttäuschung und Wut über die leeren Versprechen der früheren Machthaber. Der fast vollständige personelle Wechsel, den die Wähler mit ihrem Votum einleiten, ist darum verständlich.
Und dann waren da auch die Affären der illegalen Parteienfinanzierung, der Korruption, der Berei- cherung durch Scheinbeschäftigung von Angehörigen, des Machtmissbrauchs oder der Beeinflussung der Justiz zur Zeit von Mitterrand, Chirac, Sarkozy und Hollande. Sie haben diese Berufspolitiker der großen Parteien allesamt diskreditiert. Diese Wahlen funktionieren wie eine symbolische Guillotine, die die Köpfe rollen lässt.
Brutale Abrechnung
Das französische Wahlsystem, in dem pro Wahlkreis ein Mandat zu erringen ist, liefert zudem das Instrument für diese ziemlich brutale Abrechnung mit dem Bestehenden. Selbst Parteien wie Jean-Luc Me-´ lenchons France insoumise (Unbeugsames Frankreich) oder Marine Le Pens Front National, die auf ihre Art ebenfalls einen radikalen Wechsel und eigentlich eine noch viel vehementere Kritik am System geübt haben, werden nicht ihrem landesweiten Stimmenanteilen entsprechend, sondern nur mit einer Handvoll Abgeordneten in der Nationalversammlung Einzug halten. Das Mehrheitswahlrecht wirkt wie ein Multiplikator bei der Sitzvergabe: Der relative Sieger streicht einen totalen Gewinn ein, die anderen gehen leer aus. In der Opposition kommt schon die Angst vor einer Hegemonie Macrons auf – und vor einer Ohnmacht der ehemaligen Volksparteien.