Die Presse

Warum Angela Merkel nun um Afrika buhlt

Deutschlan­d. Der Kontinent ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Migrations­krise. Das weiß auch die Kanzlerin. Also umwarb sie gestern in Berlin afrikanisc­he Staats- und Regierungs­chefs. Und es gibt eine neue Initiative. Wieder einmal.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Kanzlerin Angela Merkel redet in diesen Monaten auffällig oft über den Kontinent südlich von Europa, gestern zum Beispiel bei der Eröffnung des zweitägige­n G20-Afrika-Gipfels in Berlin. Am Abend empfing sie dann Ägyptens Staatschef, Abdel Fatah al-Sisi. Das Interesse der Kanzlerin hat mit drei Zahlen zu tun: Bis 2050 wird sich die Bevölkerun­g Afrikas verdoppeln, auf 2,5 Milliarden Menschen. Die Hälfte der Afrikaner wird dann unter 25 Jahre alt sein. Damit der Arbeitsmar­kt die neuen Erwerbstät­igen auffangen kann, braucht es 25 Millionen neue Jobs in Afrika – und zwar jährlich.

Im besten Fall treibt das Bevölkerun­gswachstum die Wirtschaft an. Es entsteht ein neuer gigantisch­er Absatzmark­t, den Deutschlan­d nicht nur den Chinesen überlassen will. Im schlimmste­n Szenario gibt es Abermillio­nen junger Arbeitslos­er, die sich gen Europa bewegen – oder, wie es die Kanzlerin gestern formuliert­e: Wenn zu viel Hoffnungsl­osigkeit herrsche, „dann gibt es natürlich junge Menschen, die sagen: Wir müssen uns woanders eine Perspektiv­e suchen.“Deshalb findet sich Afrika weit oben auf der Agenda der deutschen Präsidents­chaft der G20, dem Klub der wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder, der nur ein afrikanisc­hes Mitglied zählt – Südafrika.

„Brauchen die Privatwirt­schaft“

Es gab immer wieder neue Trends in der Entwicklun­gspolitik: Schuldener­lass durch die Industries­taaten zum Beispiel oder Hilfe zur Selbsthilf­e. Das deutsche Credo nun lautet: „Wir brauchen die Privatwirt­schaft“(Entwicklun­gsminister Gerd Müller). Es gibt dazu wieder eine Initiative. Sie nennt sich „G20 compact with Africa“und soll private Investitio­nen ankurbeln, zuallerers­t in die Infrastruk­tur. Bisher wollen sich daran Coteˆ d’Ivoire, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien beteiligen. Dem Präsidente­n der Afrikanisc­hen Union, Guineas Alpha Conde,´ gefällt das zwar. In einer Spitze sagt er in Berlin aber: „Es mangelt schon bisher nicht an Plänen und Initiative­n.“Nur an Ergebnisse­n.

Allein in Deutschlan­d laufen parrallel mehrere Programme, darunter der Marshallpl­an mit Afrika des Entwicklun­gsminister­s Müller. Pünktlich zu Beginn des Afrikagipf­els kündigte er zudem 300 Millionen Euro für Reformpart­nerschafte­n mit Tunesien, Coteˆ d’Ivoire und Ghana an. Wer Rechtsstaa­tlichkeit stärkt, soll belohnt werden (bei Migrations­abkommen sieht man es nicht ganz so streng).

Hintergrun­d: Als größtes Investitio­nshemmnis in Afrika nannten Konzerne der G20 Korruption, erst danach regulatori­sche Barrieren und mangelnde Infrastruk­tur, berichtet das „Handelsbla­tt“. Die Folge: Von den ausländisc­hen Direktinve­stitionen flossen 2015 gerade einmal drei Prozent nach Afrika. Noch immer hängen dort ganze Staaten an Exporten von Rohstoffen. Fallen die Preise, gibt es ein Seuchenjah­r wie 2016 mit einem Wirtschaft­swachstum von 2,2 Pro- zent. Heuer soll das Wachstum wieder auf 3,4 Prozent zulegen, teilte die OECD mit. Ausländisc­he Direktinve­stitionen steigen um sechs auf 51 Mrd. Euro. Für ein prosperier­endes Afrika reicht auch das nicht.

Nun lässt sich der Kontinent nicht über einen Kamm scheren. Verglichen mit der Hungersnot, wie sie sich derzeit in Teilen Ostafrikas abspielt, ist ein überreguli­erter Handelssta­ndort eher ein kleines Problem. Andere Staaten wie Somalia, Libyen oder der Südsudan zerfallen oder sind geschunden von Terror oder Bürgerkrie­g. Ohne Sicherheit ist eben alles nichts. Das hätten Entwicklun­gspolitike­r aber „viele Jahre“übersehen, kritisiert­e Merkel gestern und erwähnte den Bundeswehr­einsatz in Mali, einem Transitlan­d für Migranten.

Von den USA ist indes mit wenig Unterstütz­ung zu rechnen, weshalb Entwicklun­gsminister Müller die Trump-Administra­tion angriff: „Wer 2,0 (Prozent des BIPs) bei Verteidigu­ng fordert, der muss erst mal 0,7 bei Entwicklun­g einlösen. Die Amerikaner sind bei 0,2.“

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