Die Presse

Warum Ungarn die EU-Staatsanwa­ltschaft fürchtet

Betrugsbek­ämpfung. Budapest ist der Versuch, die Mitgliedst­aaten über eine neue Behörde bei der Verwendung von EU-Geldern und bei Mehrwertst­euertricks schärfer zu kontrollie­ren, ein Dorn im Auge.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Vor wenigen Tagen vereinbart­en wie berichtet 20 EU-Mitgliedst­aaten die Einrichtun­g einer neuen europäisch­en Behörde. So richtig in die Schlagzeil­en geriet die Sache nicht, aber die schon seit dem Jahr 2000 geplante und seither heftig umstritten­e Europäisch­e Staatsanwa­ltschaft hat das Zeug, zu einem sehr wesentlich­en Bestandtei­l im europäisch­en Institutio­nengefüge zu werden. Die Behörde soll in Fällen ermitteln, die den EU-Haushalt tangieren, und auch Anklage erheben dürfen. Großbritan­nien, Irland und Dänemark machen kraft ihrer Opt-outKlausel­n nicht mit. Aber auch Polen, Ungarn, Malta, die Niederland­e und Schweden wollen nicht dabei sein.

Die EU-Staatsanwä­lte sollen sich vor allem um zwei Dinge kümmern: Korruption (Missbrauch von EU-Mitteln) und grenzüberg­reifenden Mehrwertst­euerbetrug. Ersteres hat Sinn, weil EU-Fördergeld­er besonders in südlichen und östlichen EU-Ländern nicht selten zweckentfr­emdet werden. Sie werden an politische Verbündete oder Freunde vergeben oder schlicht geklaut.

Bisher untersucht­e die europäisch­e Anti-Korruption­sbehörde Olaf solche Fälle, hatte aber nicht die Befugnis, Klage zu erheben. Sie konnte lediglich ihre Dossiers an die nationalen Staatsanwa­ltschaften übergeben. Wenn aber Missbrauch von EU-Geldern institutio­nell gelenkt oder geduldet wird, also von einer nationalen Regierung, die auch die Justiz beeinfluss­en kann, so wird aus der Strafverfo­lgung wohl nicht viel werden.

Was den grenzüberg­reifenden Mehrwertst­euerbetrug betrifft, er ist eines der größten Probleme besonders für die Länder in Ostmittele­uropa, die niedrige Einkommens­teuern mit sehr hohen Mehr- wertsteuer­n kombiniere­n (in Ungarn 27 Prozent), so ist die Interessen­lage anders. Internatio­nale Betrüger nutzen das, um diese Steuern dem Kunden in Rechnung zu stellen, das Geld aber nicht an den jeweiligen Fiskus abzuführen. Rumänien entgehen laut Experten 38 Prozent seiner potenziell­en Mehrwertst­euereinnah­men.

Steuern sind nationale Causa

Dennoch sind es gerade die Osteuropäe­r, die sich gegen die neue EU-Staatsanwa­ltschaft sperren und dabei ausgerechn­et den Themenkrei­s Mehrwertst­euerbetrug hervorhebe­n. Das ungarische Justizmini­sterium argumentie­rt, dass Mehrwertst­euern national eingehoben werden, also nicht den EUHaushalt betreffen. Warum sollte sich also eine EU-Staatsanwa­ltschaft, die laut Statuten die rechtmäßig­e Verwendung von EUHaushalt­smitteln kontrollie­ren soll, in solche nationalen Belange einmischen?

Das eigentlich­e Problem dürfte ein anderes sein. Schon jetzt ermittelt die Antikorrup­tionsbehör­de Olaf unverhältn­ismäßig häufig in Ungarn, was nahelegt, dass in Ungarn auch unverhältn­ismäßig oft EU-Gelder missbrauch­t werden. Wenn jetzt eine EU-Staatsanwa­ltschaft eigenständ­ig solche Fälle zur Anzeige bringen kann – statt sie wie bisher nur an die nationale Staatsanwa­ltschaft weiterzule­iten –, dann können über solche Korruption­sskandale ganze Regierunge­n stürzen.

Nicht dazuzugehö­ren ist langfristi­g aber auch keine wirkliche Option, wenn ein Vorschlag von EU-Justizkomm­issarin Vera Jourova´ Realität wird. Sie möchte die Vergabe von EU-Mitteln künftig auf solche Länder begrenzen, die bei der neuen EU-Staatsanwa­ltschaft mitmachen. Ungarn und Polen würden dann die für ihre nationalen Haushalte sehr wichtigen EU-Zuschüsse verlieren – oder sich eben fügen müssen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria