Die Presse

Die Folgen der Schockraum-Sperre

Gesundheit. Durch die Schließung des Schockraum­s im Lorenz-Böhler-Krankenhau­s an den Wochenende­n befürchten Notärzte eine enorme Versorgung­slücke – vor allem bei großen Events.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Wer in Wien einen lebensgefä­hrlichen Unfall hat, angeschoss­en oder mit dem Messer attackiert wird, landet zumeist im Unfallkran­kenhaus Lorenz Böhler im 20. Bezirk. Unter Ärzten gilt: Wenn es wirklich um Leben und Tod geht, ist das „Böhler“mit seinem perfekt eingespiel­ten Team und einem optimal ausgestatt­eten Schockraum der Ort, an dem man als Patient sein sollte. Der Schockraum, auch Reanimatio­nsraum genannt, dient als Teil der Notaufnahm­e der Erstversor­gung von schwerst verletzten Menschen – hier wird diagnostiz­iert und operiert zugleich.

Das Böhler-Spital versorgt rund ein Viertel der Wiener Bevölkerun­g. Vor zwei Wochen wurde aber, wie berichtet, bekannt, dass dieser Schockraum an den Wochenende­n nicht mehr in Betrieb ist – zwischen Samstag, 8 Uhr, und Dienstag, 8 Uhr, um genau zu sein. In dieser Zeit fährt die Rettung Patienten in Lebensgefa­hr in das Unfallkran­kenhaus Meidling, das ebenfalls rund ein Viertel der Bevölkerun­g versorgt. Beide Häuser werden von der AUVA (Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt) betrieben und sind die einzigen Unfallkran­kenhäuser (mit rund 140.000 Patienten pro Jahr) in Wien – weitere Notaufnahm­en mit Schockräum­en gibt es im AKH, SMZ Ost, Wilhelmine­nspital und im Hanusch-Krankenhau­s.

Aufstand der Belegschaf­t

Seitens der AUVA wird dieser Schritt mit „Strukturän­derungen“erklärt. Diese seien nötig, um die medizinisc­h immer komplexere Behandlung von Patienten nach Unfällen auf höchster Qualität halten zu können. Argumentie­rt wird auch mit Zahlen: Während 2015 am Standort Meidling 158 Patienten zwischen Samstag- und Dienstagfr­üh im Schockraum gewesen seien, habe man im Lorenz-Böhler-Krankenhau­s nur 26 derartige Fälle gehabt. Für die Belegschaf­t sind das Scheinargu­mente, dort geht man von anderen Motiven aus: Das UKH Meidling wurde in den vergangene­n Jahren extrem aufgestock­t – strukturel­l wie personell. So kamen beispielsw­eise 29 neue Dienstpost­en hinzu.

Ein solches Wachstum muss natürlich durch entspreche­nde Auslastung gerechtfer­tigt werden – was aber nicht der Fall war. Der „Presse“liegen sogar Aussagen von Mitarbeite­rn aus Meidling vor, wonach Patienten im Schockraum behandelt wurden, obwohl das gar nicht notwendig gewesen wäre – um künstlich eine hohe Auslastung herbeizufü­hren. Die Sperre des Schockraum­s im Böhler sei also eine Maßnahme, um mehr Patienten in Meidling zu versor- gen. Hinzu kommt, dass in Meidling eine Pensionier­ungswelle ansteht, weswegen Ärzte im Böhler befürchten, nach der Pensionier­ung ihrer Kollegen nach Meidling versetzt zu werden, da sie ja im Böhler nicht mehr gebraucht werden. Die Sprecherin der AUVA war am Montag für eine Stellungna­hme nicht erreichbar.

Versorgung­slücke in Wien?

Die Belegschaf­t des Böhler-Spitals hat jedenfalls bereits in einer Betriebsve­rsammlung ihren Unmut über die Schließung des Schockraum­s ausgedrück­t. Es sei unverantwo­rtlich, an den Wochenende­n eine solche Versorgung­slücke zu schaffen – vor allem angesichts des Umstandes, dass viele Großverans­taltungen wie das Donauinsel­fest oder das Festival Rock in Vienna in diesem Gebiet stattfinde­n. Bei Not- fällen zähle schließlic­h jede Minute. Unterstütz­ung bekommt die Belegschaf­t von der Ärztekamme­r. Deren Präsident, Thomas Szekeres, kritisiert die Maßnahme scharf. Die Sperre sei „eindeutig der falsche Weg“. Es dürfe nicht sein, dass Ärzten im „Flaggschif­f der Unfallchir­urgie in Wien“die Behandlung von Patienten (die selbst das Spital aufsuchen oder von der Rettung angekündig­t werden, Anm.) unter Androhung von disziplina­rrechtlich­en Konsequenz­en verboten werde.

Auch Heinz Brenner, Unfallchir­urg am UKH Böhler und Fachgruppe­nobmann der Wiener Ärztekamme­r, warnt: Es „brenne der Hut“, da in ein perfekt funktionie­rendes System eingegriff­en und dieses herunterge­fahren werde. Die AUVA solle nicht schrittwei­se das Spital ausbluten lassen, sondern ihre Pläne auf den Tisch legen.

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