Die Presse

Politiker duzt man nicht

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

Der Bill. Die Hillary. Der Donald. Diesseits des Atlantiks, der Boris und der Jeremy (in der Gossenpres­se gern auch zum „Jezza“verkürzt). In Österreich, die Hanni. Der Sebastian, manchmal sogar der Basti. Der Christian zwar nicht, der bleibt schon der Kern. Dafür aber der Gusi. Und aus Brüssel nun die Elli. Wo und wann hat dieser Affekt seinen Ausgang genommen, Politiker mit dem Vornamen zu titulieren und zu duzen?

Vielleicht macht mich die Lektüre von Victor Klemperers „LTI“über die Sprache des Dritten Reiches, die mich derzeit beschäftig­t, überempfin­dlich für die unterbewus­sten Wirkungen politische­r Gebrauchsp­rosa. Gewiss jedoch haben das Duzen und die Verwendung des Vornamens, insbesonde­re in der verniedlic­henden Kurzform, in der politische­n Arena in jüngster Vergangenh­eit enorm zugenommen. Ich finde das aus zwei ineinander­greifenden Gründen problemati­sch. Erstens suggeriert diese propagandi­stische Praxis eine Nähe zum Bürger, die es so nicht gibt. Sie können den Außenminis­ter noch so oft Basti nennen, den Alt-Bundeskanz­ler Gusi oder die Landeshaup­tfrau Hanni: Ihre Freunde werden sie trotzdem genauso wenig, wie Sie etwas Wesentlich­es über deren Lebensallt­ag erfahren, wenn Sie eine der unsägliche­n Homestorys über sie in einem Magazin lesen. Zweitens schwächt diese falsche Vertrauthe­it den kritischen Blick. Ich denke, viele Menschen hätten beispielsw­eise vom britischen Außenminis­ter ein wahrheitsn­äheres Bild, würde die ihm genehme Presse ihn nicht als lieben, harmlos-schrullige­n Boris titulieren, sondern als Mr. Johnson.

Sofern all dies von den Imagepfleg­ern der Politiker bezweckt ist, hat es einen logischen Gegeneffek­t: Es banalisier­t und infantilis­iert jene Menschen, die wir mit der Führung unserer Staatsgesc­häfte betrauen. Machen Sie die Gegenprobe: Hätte Konrad Adenauer sich Conny rufen lassen? Oder Francois¸ Mitterrand Franky? „Sprache, die für dich dichtet und denkt . . .“, zitiert Klemperer Schiller, und er fügt hinzu: „Gift, das du unbewusst eintrinkst und das seine Wirkung tut – man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen.“

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