Politiker duzt man nicht
Der Bill. Die Hillary. Der Donald. Diesseits des Atlantiks, der Boris und der Jeremy (in der Gossenpresse gern auch zum „Jezza“verkürzt). In Österreich, die Hanni. Der Sebastian, manchmal sogar der Basti. Der Christian zwar nicht, der bleibt schon der Kern. Dafür aber der Gusi. Und aus Brüssel nun die Elli. Wo und wann hat dieser Affekt seinen Ausgang genommen, Politiker mit dem Vornamen zu titulieren und zu duzen?
Vielleicht macht mich die Lektüre von Victor Klemperers „LTI“über die Sprache des Dritten Reiches, die mich derzeit beschäftigt, überempfindlich für die unterbewussten Wirkungen politischer Gebrauchsprosa. Gewiss jedoch haben das Duzen und die Verwendung des Vornamens, insbesondere in der verniedlichenden Kurzform, in der politischen Arena in jüngster Vergangenheit enorm zugenommen. Ich finde das aus zwei ineinandergreifenden Gründen problematisch. Erstens suggeriert diese propagandistische Praxis eine Nähe zum Bürger, die es so nicht gibt. Sie können den Außenminister noch so oft Basti nennen, den Alt-Bundeskanzler Gusi oder die Landeshauptfrau Hanni: Ihre Freunde werden sie trotzdem genauso wenig, wie Sie etwas Wesentliches über deren Lebensalltag erfahren, wenn Sie eine der unsäglichen Homestorys über sie in einem Magazin lesen. Zweitens schwächt diese falsche Vertrautheit den kritischen Blick. Ich denke, viele Menschen hätten beispielsweise vom britischen Außenminister ein wahrheitsnäheres Bild, würde die ihm genehme Presse ihn nicht als lieben, harmlos-schrulligen Boris titulieren, sondern als Mr. Johnson.
Sofern all dies von den Imagepflegern der Politiker bezweckt ist, hat es einen logischen Gegeneffekt: Es banalisiert und infantilisiert jene Menschen, die wir mit der Führung unserer Staatsgeschäfte betrauen. Machen Sie die Gegenprobe: Hätte Konrad Adenauer sich Conny rufen lassen? Oder Francois¸ Mitterrand Franky? „Sprache, die für dich dichtet und denkt . . .“, zitiert Klemperer Schiller, und er fügt hinzu: „Gift, das du unbewusst eintrinkst und das seine Wirkung tut – man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen.“