Die Presse

So schnell kommt man auf die Überholspu­r

Die Finnen erleben ein reformgetr­iebenes Wirtschaft­swunder.

- Josef.urschitz@diepresse.com

Finnlands Wirtschaft wird heuer vergleichs­weise explosiv wachsen. Die BIP-Prognosen wurden schon mehrfach nach oben korrigiert. Derzeit stehen wir bei einem für heuer erwarteten Wachstum von 2,8 Prozent. Es gibt aber auch schon Prognostik­er, die einen Dreier vor dem Komma sehen. Im ersten Quartal war man noch von lediglich 1,5 Prozent ausgegange­n.

Finnland? Doch nicht etwa jenes Finnland, das seit 2008 in einer schweren Wirtschaft­skrise steckt, dessen Exporte in den vergangene­n Jahren wegen erodierend­er Konkurrenz­fähigkeit stark geschwäche­lt haben, dessen Arbeitslos­enrate raketenhaf­t abhob, das zuletzt zu den absoluten Wachstumss­chlusslich­tern in der EU gehörte? Was ist da passiert?

Ein Blick zurück ins vorige Jahr liefert die Antwort: Da hat Regierungs­chef Juha Sipilä, ein früherer IT-Unternehme­r, recht umfassende Reformen durchgeset­zt. Unter anderem auf dem Arbeitsmar­kt, dessen Inflexibil­ität als wesentlich­e Konjunktur­bremse galt. Die Reform wimmelte nur so von Dingen, die hierzuland­e als „Grauslichk­eiten“firmieren: Drei Feiertage abgeschaff­t, weniger Urlaubsgel­d, landesweit­e Nulllohnru­nde etc. Die Gewerkscha­ften trugen das Paket angesichts der Schwere der Wirtschaft­skrise übrigens mit. U nd siehe da: Die Senkung der Lohnstückk­osten brachte die finnische Wirtschaft auf die Weltmärkte zurück, die lang schwächeln­den Exporte explodiere­n geradezu, die Arbeitslos­igkeit sinkt rasant.

Man sieht daran erstens: Reformen sind möglich, wenn der aus der Krise erwachsend­e Leidensdru­ck groß genug ist. Und, wichtiger, zweitens: Reformen wirken, wenn sie an der richtigen Stelle angesetzt werden, sehr schnell. Im Fall Finnlands betrug die Zeitspanne vom Pannenstre­ifen auf die Überholspu­r gerade einmal ein Dreivierte­ljahr. Dass politische Veränderun­gen am rechten Rand der Regierungs­koalition diesen Erfolg jetzt wieder bedrohen, ist eine andere Geschichte, ändert aber nichts an der grundsätzl­ichen Gültigkeit der obigen These.

Eigentlich ziemlich fahrlässig, dass bei uns der bevorzugte Ablageort für Reformidee­n noch immer die lange Bank ist.

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