„Elite ist in Österreich ein schlimmes Wort“
Interview. Beim Skifahren hätten Österreicher nichts gegen Eliten, sonst aber schon, meint der aus Australien stammende Borealis-Chef Mark Garrett. Dabei wäre eine solche etwa in der Bildung notwendig. An einen Aufschwung glaubt er nicht.
Die Presse: Borealis hat in den vergangenen beiden Jahren ein Rekordergebnis erzielt. Wird es heuer den dritten Rekord in Folge geben? Mark Garrett: Nein, das glaube ich nicht. Es läuft gut. Aber in der zweiten Hälfte des Jahres gehen in den USA viele neue Anlagen in Betrieb, weshalb die Kunststoffpreise weltweit wohl sinken werden.
Niedrige Preise waren auch der Grund für Ihre guten Zahlen der vergangenen Jahre – und zwar niedrige Ölpreise. Sind Sie froh, dass die jüngsten Bemühungen der Opec, den Preis zu heben, gescheitert sind? Wir haben in den elf Jahren, in denen ich hier bin, gezeigt, dass wir Geld verdienen können, egal ob der Preis hoch oder niedrig ist. Aber natürlich ist es jetzt vorteilhaft, weil die Marge größer geworden ist. Man darf jedoch auch nicht vergessen, dass wir in einem zyklischen Geschäft sind. Wir befinden uns derzeit gerade auf einem Höhepunkt. Und es wird auch wieder ein Tiefpunkt kommen, das ist sicher. Nur wann, das wissen wir nicht.
Laut jüngsten Prognosen sollte die Konjunktur jetzt aber erst noch einmal anziehen. Wir sehen davon noch nichts bei der Kundennachfrage. Das erste Quartal ist zwar gut gelaufen. Aber drei Jahre hintereinander auf diesem Niveau? Das ist einfach nicht normal.
Sie glauben also nicht an einen Aufschwung, wie ihn Ökonomen derzeit prognostizieren? Die Ökonomen liegen normalerweise falsch in ihren Prognosen. Die sind wie die Wetterfeen, die liegen auch meist falsch. Dann gibt es irgendeinen, der halt das Gegenteil von allen sagt, und der ist dann für fünf Jahre der Star, bis auch er wieder falsch liegt. Natürlich läuft die Wirtschaft in Europa langsam besser. Der Grund dafür sind aber vor allem die Nullzinsen der EZB. Und hier stellt sich die Frage: Wie lang können wir so leben und was wird passieren, wenn diese Milliarden wieder aus dem Markt genommen werden? Dass das keinen Effekt haben wird, ist kaum zu glauben.
Haben die Nullzinsen bei einem großen Industriekonzern wie Borealis eigentlich Investitionen beflügelt? Nein. Sie haben Investitionen zwar günstiger gemacht. Die Kapitalkosten sind wirklich deutlich gesunken. Trotzdem gab es bei uns sogar weniger Zukäufe als früher. Warum? Weil auch die Preise massiv angestiegen sind. Wir haben uns ein paar Firmen angeschaut, aber es gibt derzeit Fonds, die mehr zahlen, als Firmen wert sind. Einfach nur, weil das Geld derzeit so billig ist. Da wollen wir aber nicht mitmachen.
Das Ziel der EZB, Investitionen anzukurbeln, hat somit nicht gefruchtet. Es gab in Europa in den vergangenen 25 Jahren keine wirklich große Investition in der Kunststoffindustrie. Es wurden zwar ein paar kleinere Anlagen gebaut, aber keine Großprojekte, wie sie in Abu Dhabi oder den USA errichtet wurden. Und der Grund dafür ist nicht die Zinspolitik, sondern die Indus- triepolitik. So sind etwa die Arbeitsgesetze in europäischen Ländern wie Frankreich so, dass wir dort derzeit einfach keine großen, zusätzlichen Anlageprojekte planen. Sonst haben wir dort in den nächsten 20 Jahren Probleme programmiert. Wenn wir nach Singapur gehen und dort einen Cracker bauen, dann kriegen wir fünf Jahre Steuerferien und zahlen ab dann zehn Prozent Steuern für die Gewinne. Was zahle ich hier in Europa?
Deutlich mehr. Genau. Wir planen derzeit zwar ein Projekt in Antwerpen. Aber manchmal denke ich mir schon: Warum bin ich der einzige Firmenchef, der in Europa eine Anlage im Wert von einer Milliarde Euro bauen lässt? Bin ich der Trottel? Oder sollten sich lieber die europäischen Politiker fragen, ob sie die Trottel sind, weil kaum jemand das macht.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die österreichische Politik? Das ist schwierig für mich. Ich kenne Herrn Kern und mag ihn auch sehr. Und ich glaube auch, dass er das Richtige machen will. Aber Österreich ist ein Spiegelbild dessen, was in Europa läuft. Es geht dem Land sehr gut, und es hat fantastische Mittelbetriebe. Die Industriepolitik könnte jedoch sicherlich besser sein, und auch bei der Bildungspolitik gebe es Potenzial nach oben. Wir würden jedoch auch bei einer anderen Politik derzeit keine neuen Anlagen errichten, weil Österreich für unser Geschäft einen geografischen Nachteil hat, da es ein Binnenland ist. Wir investieren aber natürlich laufend in unsere bestehenden Fabriken in ganz Europa, um den Standard der Anlagen auf dem höchstmöglichen Niveau zu halten.
wurde 1962 in Australien geboren. Er studierte Wirtschaft an der Uni Melbourne und arbeitet seit 1986 in der Kunststoffindustrie. Seit 2007 ist er Chef von Borealis.
gehört zu 36 Prozent der OMV und zu 64 Prozent dem arabischen Staatsfonds Ipic (der auch an der OMV beteiligt ist). 2016 wurden mit 6600 Mitarbeitern 7,2 Mrd. Euro Umsatz erzielt. Welche Verbesserungen in der Politik bräuchte es Ihrer Meinung nach? Hier habe ich gelernt, dass ich mich vorsichtig ausdrücken muss. Denn meiner Ansicht nach bräuchte es auf jeden Fall mehr Elite-Universitäten. Elite ist aber in Österreich ein ganz schlimmes Wort. Denn es wird immer gleich mit teuer gleichgesetzt. Das meine ich aber nicht. Ich schaue mir die Schweiz an, die etwa gleich groß wie Österreich ist. Unter den besten 150 Universitäten der Welt sind jedoch sieben Schweizer Unis und keine einzige aus Österreich. Die ETH in Zürich ist die neuntbeste Universität der Welt, und die Gebühren betragen dort knapp 600 Franken im Semester. Es geht also nicht ums Geld, sondern um die akademische Elite.
Merken Sie das auch, wenn Sie Mitarbeiter suchen? Ja. Wir suchen die besten PolymerWissenschaftler der Welt. Wir konkurrieren mit Firmen wie Exxon und brauchen dafür einfach die fähigsten Mitarbeiter. Deshalb suchen wir auch auf den besten Hochschulen. Es sind auch viele Österreicher dabei. Aber die machen nur ihre erste Ausbildung in Österreich und gehen dann nach London oder woanders hin. Wenn es in Wien eine Universität wie die ETH gäbe, dann würden viele nicht weggehen, da bin ich sicher.
Inwiefern sind die heimischen Unis schlechter? Es sind solide Ausbilder. Und wir brauchen auch Absolventen von dort. Für die Ingenieure, die in den Anlagen arbeiten. Gleichzeitig brauchen wir aber auch Spitzenleute, die andere Ambitionen haben – etwa in der Forschung. Da holen wir dann Leute von der ETH in Zürich, IMD in Lausanne oder dem MIT in Boston. Diese Universitäten fungieren wie ein Filter. IMD nimmt jedes Jahr 90 Studenten, hat aber 8000 Bewerbungen.
Und diese Elitenbildung ist in Österreich unerwünscht? Ja. Vielleicht sollte man es einfach nicht Elite nennen, sondern Weltklasse. Beim Skifahren haben die Österreicher ja auch nichts gegen Weltklassefahrer. Warum also in der akademischen Ausbildung?