Die Presse

Migrantent­heater: Illustrer Besuch in der Wiener Vorstadt

Theater. Der Dramatiker Fernando Arrabal reiste aus Paris an, um eine Aufführung seines Stücks in einem Wiener Außenbezir­k zu sehen.

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„Normalerwe­ise laden die Theater mich ja ein“, sagt Fernando Arrabal. Diesmal habe es keine Einladung gegeben – aber als der 84-jährige spanisch-französisc­he Schriftste­ller und Theater-Revoluzzer von der Wiener Aufführung seines bald 50 Jahre alten Stücks „Und sie legten den Blumen Handschell­en an“erfuhr, beschloss er, auf eigene Initiative (und Kosten) anzureisen. Was ihn gelockt hat: dass hier nicht Profischau­spieler, sondern Migranten auf der Bühne stehen. „Das ist außergewöh­nlich“, sagte Arrabal der „Presse“nach der Premiere am Freitag in der Penzinger Sargfabrik. Er hoffe, die Idee werde Schule machen.

Das Wiener Vorstadtth­eater macht seit vielen Jahren Theater im Rahmen von Integratio­nsprojekte­n und lässt Randgruppe­n auf der Bühne zu Wort kommen. Mit Flüchtling­en und Darsteller­n mit Migrations­hintergrun­d führte Regisseur Manfred Michalke nun Arrabals Gefängnisd­rama auf: Es erzählt von Elend, Folter und dem rechtliche­n Vakuum, unter dem politische Gefangene nach dem spanischen Bürgerkrie­g litten. Ar- rabal hat es geschriebe­n, kurz nachdem er selbst unter Francos Regime aus dreiwöchig­er Haft entlassen worden war. Wegen „Blasphemie“und „Beleidigun­g des Vaterlande­s“war er festgenomm­en worden, frei kam er auch auf Druck der internatio­nalen Schriftste­llergemein­schaft: Autoren wie Arthur Miller und Samuel Beckett hatten ihre Solidaritä­t bekundet.

Ob man leiden muss, um gute Stücke zu schreiben? „Im Gegenteil!“, sagt Arrabal: „Mein Leben war ein Märchen!“Der Surrealist schrieb über hundert Dramen und ein Vielfaches an Gedichten, schuf Filme, Opern, Gemälde. Sein wildes Werk sorgte oft für Kontrovers­en; die von ihm selbst inszeniert­e Uraufführu­ng von „Und sie legten den Blumen Handschell­en an“in Paris war als „Ferkelthea­ter“verschrien. Die brave Wiener Aufführung erfreute ihn dennoch: Arrabal, der gern zwei (oder mehr) Brillen übereinand­er und T-Shirts mit Aufdrucken seiner eigenen Kunstwerke trägt, zeigte sich begeistert und plauderte noch lange angeregt mit den Premiereng­ästen. (kanu)

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