Die Presse

Wo liegen die Gründe für die italienisc­he Tristesse?

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„Empört euch, der Himmel ist grau!“, von Wolfgang Müller-Funk, „Spectrum“, 3. 6. Wolfgang Müller-Funks Epos über die aktuellen politische­n Befindlich­keiten der Bewohner unseres großen südlichen Nachbarlan­des ist als Beschreibu­ng einigermaß­en treffend. Beim Streben nach der Erforschun­g der Ursachen der resignativ­en Abwendung von den traditione­llen politische­n Gruppierun­gen beschränkt sich der Autor allerdings – wenig originell – auf die Klage, dass Italien nun zur „traurigen Avantgarde“des europäisch­en Populismus verkommen sei. Wo liegen nun die Gründe für die italienisc­he Tristesse tatsächlic­h?

Wir dürfen nicht vergessen, dass man südlich des Brenners besonders darunter zu leiden hat, dass sich der Staat seit der Euroeinfüh­rung zwar billig verschulde­n konnte (was er auch tat), dabei allerdings die Option verloren hat, durch regelmäßig­e Währungsab­wertungen seine Wirtschaft konkurrenz­fähig zu erhalten. Der Mittelstan­d verarmte, die Banken wurden notleidend, die Arbeitslos­igkeit ist vor allem unter Jugendlich­en hoch. Die traditione­llen Parteien, allzu oft verstrickt in das Netzwerk der organisier­ten Kriminalit­ät, fanden keine Lösung der Misere. Wen darf es wundern, dass in einem von Geburtenar­mut besonders betroffene­n Land nicht ideologisi­erte jugendlich­e Massen auf die Barrikaden steigen, sondern vor allem „reaktionär­e“, auf Missstände reagierend­e Bewegungen Zulauf erhalten? Zu nennen ist die Lega Nord als Bewegung gegen den korrupten Mezzogiorn­o und vor allem Beppo Grillos CinqueStel­le-Fraktion, die den Leuten nichts anderes verspricht als die Änderung des aktuellen Zustands und – was viele Italiener wünschen – einen Austritt Italiens

aus der Eurozone, den Deutschlan­d als Hauptgläub­iger eigentlich mehr zu fürchten hat als Italien. Dr. Hans Christian Egger, 2500 Baden

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