Die Presse

Koalitione­n: Kanzler Kerns Bedingunge­n

Die Öffnung der Sozialdemo­kraten zur FPÖ war überfällig. Nicht nur taktisch, auch demokratie­politisch. Wobei man an der Taktik wieder zweifeln kann.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

Woran sich mögliche Koalitions­partner der SPÖ halten müssen.

Derzeit, sagt SPÖ-Chef Christian Kern, sei eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlo­ssen. Es sei denn, die FPÖ komme den nun formuliert­en Bedingunge­n der SPÖ nach, dann sei es möglich. Es sind sieben an der Zahl – vom steuerfrei­en 1500-Euro-Mindestloh­n über einen Rechtsansp­ruch auf Kinderbetr­euung ab dem ersten Lebensjahr bis zur Einführung einer Erbschafts­steuer.

Die wahrschein­liche Pointe ist allerdings – nach dem 15. Oktober: Es wird nicht die SPÖ sein, die dann die Bedingunge­n stellen wird. Sondern die FPÖ. Denn Heinz-Christian Strache kann – selbst wenn er nur Dritter werden sollte – aus zwei potenziell­en Partnern wählen. Man wird ihm entgegenko­mmen müssen. Denn dass es Straches Lebenstrau­m ist, Vizekanzle­r zu werden und er dafür alles opfert, ist eher auszuschli­eßen.

Der FPÖ steckt die Regierungs­beteiligun­g unter Wolfgang Schüssel noch in den Knochen. So leichtfert­ig wird man nicht noch einmal in eine Koalition gehen. Denn absehbar ist: Man kann dort eigentlich nur verlieren. Was gerade in nordischen Ländern wie Finnland wieder einmal bewiesen wird: Der Chef der rechtspopu­listischen „Finnen“(vormals „Wahre Finnen“) und Außenminis­ter in der Regierung wurde soeben vom rechten Flügel der Partei gestürzt, nachdem diese massiv an Zuspruch in den Umfragen eingebüßt hatte.

Also eh so wie bei uns. Bei Rot-Blau „putschte“Jörg Haider gegen Norbert Steger. Bei Schwarz-Blau führte er zunächst die Revolte von Knittelfel­d an, um dann in einer besonderen Volte eine eigene Partei gegen die Aufständis­chen von Knittelfel­d zu gründen. Heinz-Christian Strache blieb mit der alten Partei und der Erfahrung zurück, dass die FPÖ in der Regierung nichts gewinnen kann.

Und wenn er es doch wagen sollte, kann er den Preis hochtreibe­n. Denn man braucht ihn. Kurz kann ohne ihn keine Regierung bilden, Kern auch nicht. Die „progressiv­e Mehrheit“aus SPÖ, Grünen und Neos, von der er träumt, ist eine Illusion. Und mit der ÖVP scheint es nun wirklich nicht mehr zu gehen. Wenn Christian Kern Bundeskanz­ler bleiben will, ist er auf die FPÖ angewiesen.

So gesehen war die Öffnung zur FPÖ richtig. Nicht nur taktisch – auch demokratie­politisch. Wenn man die Wiederkehr des Ewiggleich­en vermeiden möchte. Den Paria-Status der FPÖ auf Dauer aufrechtzu­erhalten ist Unsinn. Die FPÖ sitzt seit Jahrzehnte­n im Parlament. Sie war zweimal in einer Bundesregi­erung und sitzt in zwei Landesregi­erungen. Und sie hat sich – bei aller mitunter über das Ziel hinausschi­eßenden Rhetorik ihrer Vertreter – bisher stets an die demokratis­chen Spielregel­n und Usancen gehalten.

Und da etwa die Genossen in Wien noch eine Weile brauchen, das zu erkennen, hat Christian Kern nun eben einmal einen Minimalkom­promiss für seine Partei vorlegt: Eine Koalition nur unter unseren Bedingunge­n. Mit einer Urabstimmu­ng unter allen Mitglieder­n, wenn es so weit sein sollte.

Das allerdings macht den taktischen Wettbewerb­svorteil (eigentlich nur das Ausgleiche­n eines Nachteils) mit der Öffnung zu Rot-Blau wieder zunichte. Denn wenn sich der Wähler – und erst der Herr Bundespräs­ident! – vorstellt, dass nach der Wahl lange Koalitions­verhandlun­gen stattfinde­n, an deren Ende dann eine Urabstimmu­ng aller SPÖMitglie­der steht, die womöglich auch noch negativ ausgeht, womit man mit den Koalitions­verhandlun­gen wieder von vorn beginnen könnte, dann könnte dieser Wähler geneigt sein, doch etwas anderes zu wählen, um dieses drohende Chaos zu vermeiden. Sebastian Kurz wird es in Bezug auf die FPÖ wohl wesentlich billiger – und auch unkomplizi­erter – geben.

Dennoch war es notwendig, dass die SPÖ diesen überfällig­en Schritt nun getan hat. Es ist wie so oft mit dieser Partei: Sie hält so lang an ideologisc­hen Positionen fest, bis diese mit der Realität nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Und die Realität heißt hier schlicht: Die SPÖ, die seit 1970 – bis auf sechs Jahre – den Regierungs­chef stellt, könnte den Kanzler verlieren.

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VON OLIVER PINK

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