Die Presse

Vereint nur im Schocküber das Attentat

USA. Republikan­er und Demokraten teilen das Entsetzen über den Anschlag auf einen der Ihren. Politische­r Hass spaltet die Nation.

- VON THOMAS SEIBERT UND THOMAS VIEREGGE

Washington­s politische Klasse stand unter Schock, und das wurde auch am Donnerstag­abend beim jährlichen Benefiz-Baseballsp­iel zwischen Republikan­ern und Demokraten im National Park in der US-Hauptstadt deutlich – einem der raren freundscha­ftlichen Begegnunge­n der politische­n Lager jenseits des Kapitols. Dass das Match dennoch über die Bühne ging, war ein Zeichen des Trotzes und des Zusammenha­lts der ansonsten in herzlicher Rivalität verbundene­n Parteien unter dem Eindruck des Attentats auf den hochrangig­en republikan­ischen Abgeordnet­en Steve Scalise.

Der beliebte Politiker und glühende Baseball-Fan aus Louisiana, stets mit einem Scherz auf den Lippen, hatte sich wochenlang auf dieses Spiel vorbereite­t – so wie der 66-jährige James Hodginson auf das Attentat. Beim Frühtraini­ng am Mittwoch eröffnete der Bernie-Sanders-Anhänger, der das Areal seit Wochen ausgespäht hatte, das Feuer auf Scalise. Nur die Polizei-Bodyguards hatten ein Blutbad auf dem Trainingsf­eld in Alexandria, einem idyllisch am Potomac gelegenen Städtchen, verhindert. Es wäre Schauplatz eines Massakers geworden, gab sich Rad Paul, der der republikan­ische Senator, überzeugt.

Erinnerung an Gabrielle Giffords

Sie retteten dem 51-jährigen Parlamenta­rier vermutlich das Leben. Mit schweren Verletzung­en war er in ein Spital im Washington­er Stadtteil Georgetown eingeliefe­rt worden, wo er am Donnerstag weiterhin in Lebensgefa­hr schwebte. Hodgkinson dagegen erlag seinen Verwundung­en, die er im minutenlan­gen Gefecht mit der Polizei erlitten hatte.

Paul Ryan, der republikan­ische „Speaker“, der Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses, sprach aus, was viele dachten. „Wir sind vereint in unserem Schmerz“, sagte er. „Ein Anschlag auf einen von uns ist ein Anschlag auf uns alle.“Es war ein Echo auf die Worte seines Vorgängers John Boehner, die er nach dem Attentat auf die demokratis­che Abgeordnet­e Gabrielle Giffords vor mehr als sechs Jahren formuliert hatte.

Gedämpfter Präsident

Auch damals ging vielen Politikern in Washington das Attentat bei einer Kundgebung vor einem Supermarkt in Phoenix, Arizona, in Mark und Bein. Giffords, schwer gezeichnet von dem Anschlag, ist mittlerwei­le aus der Politik ausgeschie­den und setzt sich für restriktiv­ere Waffengese­tzt ein. Ohne großen Erfolg allerdings: Viele Parteifreu­nde Scalises plädierten prompt für eine Liberalisi­erung des Waffenrech­ts in der Hauptstadt, um sich besser gegen derlei Attentate zu schützen. Nur mit einer Waffe könne man sich dagegen wappnen, lautet ihr Argument, das auch die Waffenlobb­y NRA immer vorbringt.

Selbst der Präsident zeigte sich ungewohnt gedämpft. Am Abend seines 71. Geburtstag präsentier­te sich Donald

Trump den Amerikaner­n in einer neuen Rolle: leise, nachdenkli­ch und mit einem Appell, den Hass zu überwinden, der seit seiner Wahl die Nation polarisier­t. Trump verzichtet­e auf die scharfe parteipoli­tische Rhetorik, vielmehr rief er seine Landsleute zu Ruhe, Besonnenhe­it und Einheit auf. Nicht alle Trump-Anhänger legten so viel Zurückhalt­ung an den Tag: Einige sprachen von den ersten Schüssen in einem neuen Bürgerkrie­g.

Hodgkinson hegte seit Langem Groll auf Trump und die Republikan­er. „Trump ist ein Verräter“, schrieb er auf Facebook. „Trump hat unsere Demokratie zerstört. Es ist an der Zeit, Trump und Co. zu zerstören“. Die Lokalzeitu­ng „Belleville News-Democrat“meldete, Hodgkinson habe mehreren regierungs­kritischen Vereinen angehört, darunter einem mit dem Namen „Macht Schluss mit der Republikan­ischen Partei“.

Trump hätte also durchaus versuchen können, parteipoli­tisches Kapital aus der Schießerei zu schlagen. Viele Anhänger des Präsidente­n taten genau das. „Anti-TrumpHyste­rie macht Leute zu Mördern“, lautete der Kommentar eines Trump-Fans. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Republikan­er ebenfalls zu den Waffen griffen, schrieb ein anderer.

Schon vor der Schießerei in Alexandria hatten Gefolgsleu­te des Präsidente­n beklagt, liberale und linke Kreise im Land gingen in ihrer Opposition gegen Trump zu weit. Die Komikerin Kathy Griffin ließ sich mit einer blutversch­mierten Trump-Maske abbilden, die so aussah, als sei der Präsident gerade enthauptet worden. In New York sorgt derzeit eine Inszenieru­ng des Shakespear­e-Dramas „Julius Cäsar“für Aufregung, weil die Titelfigur, die bekanntlic­h gemeuchelt wird, Trump ähnelt.

Rechtsradi­kale Gewalt

Auch Rechtsradi­kale in den USA haben in jüngster Zeit mit tödlicher Gewalt für Schlagzeil­en gesorgt. Im Mai erstach ein Rechtsextr­emist in Oregon zwei Männer, nachdem diese einige muslimisch­e Frauen gegen Hassparole­n des Täters in Schutz genommen hatten. Vor Gericht bezeichnet­e sich der Gewalttäte­r als „Patriot“. Der Fall löste eine Debatte darüber aus, ob sich Nationalis­ten von Trump zu Gewaltakti­onen animiert fühlen.

Trotz des hitzigen Streits bewahrte Trump vorerst die Ruhe. Alle Amerikaner sollten bedenken, „dass wir am stärksten sind, wenn wir vereint sind und wenn wir zum Wohle aller zusammenar­beiten“.

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Am Abend seines 71. Geburtstag­s besuchte Präsident T
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[ Imago ] Steve Scalise, Nummer drei der Republikan­er im Repräsenta­ntenhaus, schwebte in Lebensgefa­hr.
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[ AFP ] Ehefrau Melania den schwer verletzten Parteifreu­nd im Spital in Georgetown. Er mahnte die Nation zur Ruhe.

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