Jeder Partei ihr eigenes Wahlrecht
Kandidatenreihung. Der steirische Wahlrechtsexperte Klaus Poier schlägt vor, das System der Vorzugsstimmen völlig freizugeben.
Wien. Mit Vorzugsstimmen in den Nationalrat einzuziehen ist momentan nicht leicht. Es bedarf schon eines Kraftakts, um die von der Partei gewünschte Listenreihung umzuwerfen. Was manchen Parteien durchaus recht ist, damit ihre Kandidatenlisten nicht durcheinandergewirbelt werden, stört andere Fraktionen, die gern niedrigere Hürden und mehr Freiheit für die Wähler hätten. Dabei gäbe es einen einfachen Weg, es allen recht zu machen, wie der Wahlrechtsexperte Klaus Poier von der Universität Graz meint.
Der Jurist schlägt im Gespräch mit der „Presse“eine Gesetzesänderung vor. Demnach soll jede Partei, wenn sie ihre Liste bei der Wahlbehörde einreicht, gleichzeitig bekannt geben, wie sie es mit den Vorzugsstimmen halten will. Eine Partei könnte dann eine hohe, eine andere eine mittlere, eine dritte eine ganz niedrige Vorzugsstimmenhürde für sich bestimmen.
Momentan gibt es laut Gesetz im Regionalwahlkreis erst dann eine Umreihung, wenn ein Kandidat Vorzugsstimmen im Ausmaß von mindestens 14 Prozent der auf seine Partei im Regionalwahlkreis entfallenden gültigen Stimmen er- zielt hat. Für die Landesliste gilt eine Zehn-Prozent-Hürde, auf der Bundesliste benötigt man als Kandidat sieben Prozent der im Bundesgebiet auf die eigene Partei entfallenden Stimmen. Diese Regeln gelten für alle Parteien.
Erst diese Woche hat die ÖVP bekannt gegeben, die Hürden in allen Wahlkreisen auf die Hälfte zu senken (also sieben Prozent auf regionaler Ebene, fünf Prozent auf Länderebene und 3,5 Prozent auf Bundesebene). Alle ÖVP-Kandidaten sollen eine Erklärung abgeben, laut der sie dieses Vorzugsstimmensystem anerkennen und auf ihr Mandat verzichten, wenn jemand anderer die Hürden überspringt.
Die Sache hat nur einen Haken: Die Ehrenerklärung ist rechtlich betrachtet nichts wert. Im Streitfall kann die Partei einem laut Gesetz gewählten Mandatar den Parlamentssitz nicht wegnehmen. Man könnte den widerspenstigen Parteifreund höchstens aus der Fraktion ausschließen. Aber dann hat die Partei im Nationalrat einen Mandatar weniger.
Reißverschlussprinzip möglich
In Poiers Modell hingegen könnte jede Partei die intern erarbeiteten Regeln auch rechtlich umsetzen. Selbst wenn eine Partei sich ein Reißverschlussprinzip (abwechselnd Frau und Mann auf der Liste) nicht durch Vorzugsstimmen zerstören lassen will, sei dies möglich, sagt der Experte. So könnte man beim Einreichen der Liste bekannt geben, dass die Vorzugsstimmen nach Geschlecht getrennt ausgewertet werden sollen und gleich viele Männer und Frauen ein Mandat bekommen müssen.
Dass die Parteien sich auf ein Vorzugsstimmensystem einigen können, das allen gefällt, glaubt Poier nicht. „Ich war als Experte bei den Regierungsverhandlungen 2013 dabei. Da hat man gesehen, wie weit die Vorstellungen auseinandergehen.“Der bessere Weg wäre es daher, das Vorzugsstimmensystem gleich jeder Partei individuell zu überlassen, sagt der Experte.