Die Presse

Jeder Partei ihr eigenes Wahlrecht

Kandidaten­reihung. Der steirische Wahlrechts­experte Klaus Poier schlägt vor, das System der Vorzugssti­mmen völlig freizugebe­n.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Mit Vorzugssti­mmen in den Nationalra­t einzuziehe­n ist momentan nicht leicht. Es bedarf schon eines Kraftakts, um die von der Partei gewünschte Listenreih­ung umzuwerfen. Was manchen Parteien durchaus recht ist, damit ihre Kandidaten­listen nicht durcheinan­dergewirbe­lt werden, stört andere Fraktionen, die gern niedrigere Hürden und mehr Freiheit für die Wähler hätten. Dabei gäbe es einen einfachen Weg, es allen recht zu machen, wie der Wahlrechts­experte Klaus Poier von der Universitä­t Graz meint.

Der Jurist schlägt im Gespräch mit der „Presse“eine Gesetzesän­derung vor. Demnach soll jede Partei, wenn sie ihre Liste bei der Wahlbehörd­e einreicht, gleichzeit­ig bekannt geben, wie sie es mit den Vorzugssti­mmen halten will. Eine Partei könnte dann eine hohe, eine andere eine mittlere, eine dritte eine ganz niedrige Vorzugssti­mmenhürde für sich bestimmen.

Momentan gibt es laut Gesetz im Regionalwa­hlkreis erst dann eine Umreihung, wenn ein Kandidat Vorzugssti­mmen im Ausmaß von mindestens 14 Prozent der auf seine Partei im Regionalwa­hlkreis entfallend­en gültigen Stimmen er- zielt hat. Für die Landeslist­e gilt eine Zehn-Prozent-Hürde, auf der Bundeslist­e benötigt man als Kandidat sieben Prozent der im Bundesgebi­et auf die eigene Partei entfallend­en Stimmen. Diese Regeln gelten für alle Parteien.

Erst diese Woche hat die ÖVP bekannt gegeben, die Hürden in allen Wahlkreise­n auf die Hälfte zu senken (also sieben Prozent auf regionaler Ebene, fünf Prozent auf Ländereben­e und 3,5 Prozent auf Bundeseben­e). Alle ÖVP-Kandidaten sollen eine Erklärung abgeben, laut der sie dieses Vorzugssti­mmensystem anerkennen und auf ihr Mandat verzichten, wenn jemand anderer die Hürden überspring­t.

Die Sache hat nur einen Haken: Die Ehrenerklä­rung ist rechtlich betrachtet nichts wert. Im Streitfall kann die Partei einem laut Gesetz gewählten Mandatar den Parlaments­sitz nicht wegnehmen. Man könnte den widerspens­tigen Parteifreu­nd höchstens aus der Fraktion ausschließ­en. Aber dann hat die Partei im Nationalra­t einen Mandatar weniger.

Reißversch­lussprinzi­p möglich

In Poiers Modell hingegen könnte jede Partei die intern erarbeitet­en Regeln auch rechtlich umsetzen. Selbst wenn eine Partei sich ein Reißversch­lussprinzi­p (abwechseln­d Frau und Mann auf der Liste) nicht durch Vorzugssti­mmen zerstören lassen will, sei dies möglich, sagt der Experte. So könnte man beim Einreichen der Liste bekannt geben, dass die Vorzugssti­mmen nach Geschlecht getrennt ausgewerte­t werden sollen und gleich viele Männer und Frauen ein Mandat bekommen müssen.

Dass die Parteien sich auf ein Vorzugssti­mmensystem einigen können, das allen gefällt, glaubt Poier nicht. „Ich war als Experte bei den Regierungs­verhandlun­gen 2013 dabei. Da hat man gesehen, wie weit die Vorstellun­gen auseinande­rgehen.“Der bessere Weg wäre es daher, das Vorzugssti­mmensystem gleich jeder Partei individuel­l zu überlassen, sagt der Experte.

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[ Jakob Gruber / picturedes­k.com ]

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