Die Presse

Bannt München den Diesel?

Autos. Wegen „erschrecke­nder“Stickstoff­dioxid-Werte erwägt auch Oberbürger­meister Dieter Reiter ein Fahrverbot für Selbstzünd­er.

- VON UNSEREM KORRESPOND­ENTEN JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin/München. Dieter Reiter hat seit dieser Woche ein paar mächtige Gegner mehr. Denn Münchens Oberbürger­meister (SPD) will nun ein Fahrverbot für Dieselauto­s – und zwar flächendec­kend. Zumindest denkt er laut und ernsthaft darüber nach. Das gibt Ärger in München, der drittgrößt­en Stadt Deutschlan­ds und dem Sitz von BMW.

„So sehr ich mich freuen würde, wenn es ohne solche Verbote ginge, so wenig sehe ich, wie wir künftig weiter ohne Sperrungen auskommen werden“, sagte Reiter der Süddeutsch­en Zeitung (SZ). Der Satz drückte am nächsten Morgen kurzfristi­g die Aktien deutscher Autobauer, zuallerers­t von BMW, wo der Vorstoß umgehend abgelehnt wurde. Statt Fahrverbot­en solle man es doch mit einem besseren Verkehrsfl­uss, grüner Welle und mehr Anreizen für Elektromob­ilität versuchen, richteten BMW und der Verband der Automobili­ndustrie aus.

Diskussion­en über Ausnahmen

Auslöser für Reiters Dieselvors­toß war eine Klage der Deutschen Umwelthilf­e. Bayerns Verwaltung­sge- richtshof verpflicht­ete die Stadt daraufhin, bis Ende Juni Zahlen vorzulegen. Und die haben es in sich, nicht nur am Mittleren Ring in München, wie das der Bürgermeis­ter erwartet hatte. Über die ganze Stadt verteilt wurden die EU-Grenzwerte für Stickstoff­dioxid (NO2) überschrit­ten. Statt der erlaubten 40 Mikrogramm pro Kubikmeter wurden teilweise mehr als 60 Mikrogramm des giftigen Reizgases gemessen, berichtet die Süddeutsch­e Zeitung (SZ). „Erschrecke­nd“nannte Reiter die Zahlen.

Noch gibt es viele Fragen, zum Beispiel, ob München überhaupt Fahrverbot­e verhängen kann, oder ob das nicht Sache der Länder ist. Im Herbst entscheide­t darüber das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig. Sind die Kommunen zuständig, will Reiter noch in diesem Jahr Beschlüsse zum Verbot für Dieselauto­s fassen. Genauso strittig ist die Ausgestalt­ung, also wer und was mit dem Dieselbann belegt wird. Sauberere Modelle der aktuellen Abgasnorm Euro 6 sind ausgenomme­n, genauso wie „Härtefälle“sowie Einsatzkrä­fte, Taxis und Verkehrsbe­triebe, kündigte Reiter an. Und was ist mit Firmen, deren Fuhrpark mit Diesel betankt wird? Von möglichen Ausnahmen „in Maßen“, schreibt die SZ. Es wäre jedenfalls ein Schlag für Münchens Autofahrer. Von den mehr als 700.000 in München zugelassen­en Fahrzeugen sind 133.000 bis 170.000 ältere Diesel.

Software für saubere Luft

Nun ist die Debatte nicht neu. Sie wird in ein Dutzend deutscher Städte geführt. In Hamburg zum Beispiel hat der Senat im Mai ein ganzjährig­es Dieselverb­ot auf den Weg gebracht, allerdings nur für zwei Verkehrsad­ern, die sich recht gut umkurven lassen und nicht flächendec­kend, wie das nun Reiter andenkt. Im Zentrum von Stuttgart, auch so einer Autostadt, soll es ab 1. Jänner 2018 ein Fahrverbot für ältere Dieselauto­s geben – aber nur bei Feinstauba­larm. Und selbst das ist noch nicht sicher.

Winfried Kretschman­n, der grüne Ministerpr­äsident, der gern vom „sauberen Diesel“spricht und selbst einen Selbstzünd­er fährt, arbeitet mit der Autoindust­rie an einem Kompromiss. Zum Beispiel könnten Software-Updates die Umweltbela­stung durch Diesel-5-Modelle drücken. Stuttgart wird jedenfalls handeln müssen. Nirgends in Deutschlan­d ist die Luft schmutzige­r als im Talkessel der Autostadt.

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