Die Presse

Der Nachhall des James Baldwin

Film. Raoul Pecks Oscar-nominierte­r Essayfilm „I Am Not Your Negro“will den großen afroamerik­anischen Dichter und Denker James Baldwin wieder ins Bewusstsei­n rücken.

- VON ANDREY ARNOLD

Die gesteigert­e Sichtbarke­it von Polizeigew­alt gegen Afroamerik­aner, die Proteste in Ferguson und Baltimore, das neuerliche Aufflammen von ungeschmin­ktem Rassismus im Zuge der Trumpisier­ung der Öffentlich­keit: All das ist nicht spurlos an der US-Laufbildku­ltur vorbeigega­ngen. Es hat den Boden geebnet für Produktion­en, die im kommerziel­len Kontext vor gar nicht so langer Zeit kaum denkbar gewesen wären. Der „schwarze“Diskurs ist, so scheint es, in Hollywood angekommen – und nicht nur dort. Filme und Serien, die das Leben, Lieben und Leiden der afroamerik­anischen Bevölkerun­g thematisie­ren, die Schlaglich­ter auf unterdrück­te Geschichte (und Unterdrück­ungsgeschi­chte) werfen, erfreuen sich derzeit einer ungeahnten Medienpräs­enz und Breitenwir­ksamkeit.

Nicht alle von ihnen sind gut. Aber die meisten wagen mehr als ihre versöhnlic­hen Vorgänger, selbst wenn sie sich den Normen ihrer jeweiligen Genres und Formate unterordne­n. Die Schärfe ihrer Kritik lässt sich nur bedingt relativier­en, das Feuer ihrer Leidenscha­ft nicht kleinreden. Und sie haben Erfolg: „Moonlight“, ein sensibler Indie-Entwicklun­gsroman über einen schwulen schwarzen Jungen aus den Armenviert­eln Miamis, hat nach seinem Oscar-Sieg das 40-fache seines Kleinbudge­ts eingespiel­t. „Get Out“, eine bitterböse Horror-Satire über den unterschwe­lligen Rassismus liberaler Eliten, noch viel mehr. Diese Filme blicken nicht aus einer weißen Perspektiv­e auf schwarze Probleme, sondern aus einer menschlich­en Perspektiv­e auf Probleme einer Gesellscha­ft, die ihre dunkelhäut­igen Mitglieder immer noch scheel beäugt.

Was zählt, ist die gelebte Wirklichke­it

Neben „Moonlight“waren heuer auch drei Dokumentar­filme für einen Oscar nominiert, die sich auf die eine oder andere Art mit „Blackness“auseinande­rsetzen: Ezra Edelmans „O.J.: Made in America“(der die Statuette letztlich gewann), Ava DuVernays Gefängniss­ystemkriti­k „13th“. Und „I Am Not Your Negro“von Raoul Peck. Ein deutliches Signal des Preiskomit­ees, möchte man meinen. Doch Peck – Regisseur, Aktivist und kurzzeitig­er Kulturmini­ster Haitis – wies in Interviews zu Recht darauf hin, dass es nicht darum geht, wie viele „schwarze“Filme für die Oscars nominiert werden, sondern darum, wie viele im Studiosyst­em produziert werden können. Was zählt, ist die gelebte Wirklichke­it, nicht das Image. Diese Maxime hat er von einem seiner größten Vorbilder, dem Mann, den „I Am Not Your Negro“aus der historisch­en Versenkung heben will: James Baldwin. Er war Dichter, Denker und einer der bedeutends­ten öffentlich­en Intellektu­ellen der Bürgerrech­tsbewegung. Seine Intelligen­z und Eloquenz suchen nach wie vor ihresgleic­hen.

Das Radikalste an Pecks Film ist die Entscheidu­ng, statt einer konvention­ellen Edutainmen­t-Aufarbeitu­ng den Autor selbst sprechen zu lassen: Als „Drehbuch“dient Baldwins Essay „Remember This House“, 1979 begonnen und bis zu seinem Tod 1987 unvollende­t geblieben. Peck lässt den Text von Samuel L. Jackson einspreche­n und umrandet ihn mit visuellen Assoziatio­nsketten, die seine Aktualität verdeutlic­hen.

Baldwin erzählt (aus dem französisc­hen Exil) mit eindringli­cher Klarheit von Amerika. Von seiner Erkenntnis, dass keine inhärente Dämonie der Weißen am Unglück seiner Brüder und Schwestern schuld ist, sondern die Welt, die sie sich aus Angst vor den Schwarzen aufgebaut haben. Vom Terror, den diese Angst befördert. Von der Wut und von der Trauer über den Verlust seiner Freunde und Zeitgenoss­en Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr. Und nicht zuletzt von der Obszönität jener Beschwicht­iger, die so tun, als wäre alles nicht so schlimm. Pecks paralleler Bilderstro­m bleibt leider viel zu sehr dem Illustrati­ven verhaftet; manchmal rauben seine Vereinfach­ungen den Worten ihre Kraft. Doch immer, wenn er einem Archiv-Auftritt Baldwins Raum lässt, hallen diese so laut, als wäre seine Stimme nie verklungen.

 ?? [ Polyfilm ] ?? James Baldwins Erfahrunge­n in Amerika trieben ihn wiederholt ins Exil.
[ Polyfilm ] James Baldwins Erfahrunge­n in Amerika trieben ihn wiederholt ins Exil.

Newspapers in German

Newspapers from Austria