Der Nachhall des James Baldwin
Film. Raoul Pecks Oscar-nominierter Essayfilm „I Am Not Your Negro“will den großen afroamerikanischen Dichter und Denker James Baldwin wieder ins Bewusstsein rücken.
Die gesteigerte Sichtbarkeit von Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, die Proteste in Ferguson und Baltimore, das neuerliche Aufflammen von ungeschminktem Rassismus im Zuge der Trumpisierung der Öffentlichkeit: All das ist nicht spurlos an der US-Laufbildkultur vorbeigegangen. Es hat den Boden geebnet für Produktionen, die im kommerziellen Kontext vor gar nicht so langer Zeit kaum denkbar gewesen wären. Der „schwarze“Diskurs ist, so scheint es, in Hollywood angekommen – und nicht nur dort. Filme und Serien, die das Leben, Lieben und Leiden der afroamerikanischen Bevölkerung thematisieren, die Schlaglichter auf unterdrückte Geschichte (und Unterdrückungsgeschichte) werfen, erfreuen sich derzeit einer ungeahnten Medienpräsenz und Breitenwirksamkeit.
Nicht alle von ihnen sind gut. Aber die meisten wagen mehr als ihre versöhnlichen Vorgänger, selbst wenn sie sich den Normen ihrer jeweiligen Genres und Formate unterordnen. Die Schärfe ihrer Kritik lässt sich nur bedingt relativieren, das Feuer ihrer Leidenschaft nicht kleinreden. Und sie haben Erfolg: „Moonlight“, ein sensibler Indie-Entwicklungsroman über einen schwulen schwarzen Jungen aus den Armenvierteln Miamis, hat nach seinem Oscar-Sieg das 40-fache seines Kleinbudgets eingespielt. „Get Out“, eine bitterböse Horror-Satire über den unterschwelligen Rassismus liberaler Eliten, noch viel mehr. Diese Filme blicken nicht aus einer weißen Perspektive auf schwarze Probleme, sondern aus einer menschlichen Perspektive auf Probleme einer Gesellschaft, die ihre dunkelhäutigen Mitglieder immer noch scheel beäugt.
Was zählt, ist die gelebte Wirklichkeit
Neben „Moonlight“waren heuer auch drei Dokumentarfilme für einen Oscar nominiert, die sich auf die eine oder andere Art mit „Blackness“auseinandersetzen: Ezra Edelmans „O.J.: Made in America“(der die Statuette letztlich gewann), Ava DuVernays Gefängnissystemkritik „13th“. Und „I Am Not Your Negro“von Raoul Peck. Ein deutliches Signal des Preiskomitees, möchte man meinen. Doch Peck – Regisseur, Aktivist und kurzzeitiger Kulturminister Haitis – wies in Interviews zu Recht darauf hin, dass es nicht darum geht, wie viele „schwarze“Filme für die Oscars nominiert werden, sondern darum, wie viele im Studiosystem produziert werden können. Was zählt, ist die gelebte Wirklichkeit, nicht das Image. Diese Maxime hat er von einem seiner größten Vorbilder, dem Mann, den „I Am Not Your Negro“aus der historischen Versenkung heben will: James Baldwin. Er war Dichter, Denker und einer der bedeutendsten öffentlichen Intellektuellen der Bürgerrechtsbewegung. Seine Intelligenz und Eloquenz suchen nach wie vor ihresgleichen.
Das Radikalste an Pecks Film ist die Entscheidung, statt einer konventionellen Edutainment-Aufarbeitung den Autor selbst sprechen zu lassen: Als „Drehbuch“dient Baldwins Essay „Remember This House“, 1979 begonnen und bis zu seinem Tod 1987 unvollendet geblieben. Peck lässt den Text von Samuel L. Jackson einsprechen und umrandet ihn mit visuellen Assoziationsketten, die seine Aktualität verdeutlichen.
Baldwin erzählt (aus dem französischen Exil) mit eindringlicher Klarheit von Amerika. Von seiner Erkenntnis, dass keine inhärente Dämonie der Weißen am Unglück seiner Brüder und Schwestern schuld ist, sondern die Welt, die sie sich aus Angst vor den Schwarzen aufgebaut haben. Vom Terror, den diese Angst befördert. Von der Wut und von der Trauer über den Verlust seiner Freunde und Zeitgenossen Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr. Und nicht zuletzt von der Obszönität jener Beschwichtiger, die so tun, als wäre alles nicht so schlimm. Pecks paralleler Bilderstrom bleibt leider viel zu sehr dem Illustrativen verhaftet; manchmal rauben seine Vereinfachungen den Worten ihre Kraft. Doch immer, wenn er einem Archiv-Auftritt Baldwins Raum lässt, hallen diese so laut, als wäre seine Stimme nie verklungen.