Ältere Menschen können gut Sprachen lernen
Linguistik. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans trotzdem noch. So kann man das Ergebnis der ersten Studie auf den Punkt bringen, die Senioren als Neueinsteiger beim Erlernen der englischen Sprache untersuchte.
Zweisprachig lebende Menschen haben Vorteile für ein langes gesundes Leben. Das ist in der Forschung bekannt: Demenzkrankheiten wie Alzheimer setzen bei Menschen, die ihr Leben lang zwei oder mehr Sprachen sprechen, im Durchschnitt später ein. Wie sieht es aber aus mit Menschen, die erst im Seniorenalter beginnen, eine neue Sprache zu lernen? Was passiert im Gehirn, wenn man mit 65 plus erstmals Englisch lernt – und wie wirkt sich dies auf das Leben im Alltag aus?
Diesen Fragen geht ein Team der Universitäten Salzburg und Zürich erstmals nach. Die Pilotstudie (mit etwa 50 Teilnehmern in Österreich und der Schweiz) ist abgeschlossen, die ersten Ergebnisse erscheinen demnächst im Fachwerk „Third age learners of foreign languages“im englischen Multilingual Matters Verlag. Danach sollen Tests mit einem größeren Personenkreis folgen.
Die Forscher suchten per Ausschreibung und Mundpropaganda nach älteren Menschen, die für vier Wochen intensiv Englisch lernen wollten, mit mindestens sechs Sitzungen pro Woche. „Wir haben die Kurse im Klassenverband in Gemeinschaftszentren im jeweiligen Ort angeboten. Alle Teilnehmer waren Anfänger ohne Vorkenntnisse“, sagt Simone Pfenninger, Sprachwissenschaftlerin der Uni Salzburg.
Eigene Übungen entwickelt
Ihr Team untersuchte vor Beginn des Kurses, währenddessen und danach zahlreiche Faktoren: Wie schnell lernen ältere Menschen eine neue Sprache? Wie verändern sich kognitive Fähigkeiten, wie Konzentration und Gedächtnis? Wie verhält es sich mit der Sprachlernmotivation, dem allgemeinen Wohlbefinden, der Kommunikationsfreude im Alltag und dem Stresslevel? Außerdem wurde die Hirnaktivität per Elektroenzephalografie (EEG) gemessen.
„Die Gruppen teilten wir in ,Jung-Alte‘ ab 65 Jahren und in Senioren von 75 bis 90 Jahren. Dazu verglichen wir einsprachige Menschen mit solchen, die mit Deutsch und Slowenisch zweisprachig aufgewachsen sind“, so Pfenninger.
Der Einstieg war weder für die Forscher noch für die Senioren einfach: Es gibt sehr wenige Kursbücher, die auf ältere Menschen abgestimmt sind, daher entwickelte das Team eigene Übungen. Die Leute waren lange nicht mehr in einer Schule und mussten erst wie- der lernen, sich zu konzentrieren. „Doch die Resultate waren erstaunlich: Bei wirklich allen Teilnehmern haben sich die EnglischKenntnisse signifikant verbessert“, sagt Pfenninger. Das anfängliche Sprachniveau, also ob jemand ein paar Brocken Englisch kannte, hatte keinen Einfluss auf das Resultat.
„Auch das Alter war nicht ausschlaggebend: Freilich tut sich ein 65-Jähriger leichter als ein 90-Jähriger – aber es gab Faktoren, die viel wichtiger für den Lernerfolg waren als das Alter.“So entscheidet etwa die Gedächtniskapazität oder wie flüssig man sich in der Erstsprache ausdrückt, wie gut man Englisch lernt. „Zweisprachig aufgewachsene Menschen hatten höhere Gedächtniskapazitäten bzw. Sprachlernbewusstsein.“
Klima untereinander wichtig
Weiters war die Motivation wichtig: Wer positiv an die Sache herangeht, lernt leichter als jemand, der sich vielleicht im Klassenverband nicht wohlfühlt. Erstaunt hat die Forscher, wie schnell sie auch im Gehirn Folgen des Englischkurses erkannten: „Die EEGs zeigten, dass der Wechsel von der ersten zur zweiten Sprache bald mühelo- ser wurde.“Diese Ergebnisse sind zwar für die Wissenschaft wertvoll, noch beeindruckender aber war, wie stark die Teilnehmer selbst vom Englischkurs profitierten. „Sie konnten sich für längere Zeit konzentrieren, auch die Handschrift zeigte, wie gut sie fokussierten“, sagt Pfenninger.
Veränderungen gab es zudem im alltäglichen Leben: Das Wohlbefinden stieg ebenso wie die Teilnahme am sozialen und öffentlichen Leben. „Die Hemmschwelle für Kommunikation sank, die Leute fühlten sich integrierter, auch weil sie viele Schilder und Ausdrücke, die auf Englisch sind, nun verstanden. Das Selbstbewusstsein wurde gestärkt – und das Wissen, dass man etwas erreichen kann.“
Gesundes und aktives Altern
Die positiven Folgen des Sprachkurses sind auch im Hinblick auf gesundes Altern wichtig, ein Thema, das von der EU stark gefördert wird, da die Menschen immer mehr Lebenszeit nach der Pensionierung genießen sollen: Spracherwerb ist ein Beitrag für das aktive Altern. „Auch weil Reisen und Migration zunehmen, ist wichtig zu wissen: Ältere Menschen bleiben für Sprache aufnahmebereit. Damit können wir auch gegen Vorurteile und soziale Stereotypen eintreten“, sagt Pfenninger.