Die Presse

„Kein Zweifel, wir treten aus“

Großbritan­nien/EU. Heute geht es los mit den Verhandlun­gen über den britischen EU-Austritt. Das neue politische Kräfteverh­ältnis in London wird eine der entscheide­nden Fragen für das Ergebnis sein.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Mit dem Auftakt der ersten Verhandlun­g heute, Montag, ab 11.00 Uhr in Brüssel wird es knapp ein Jahr nach dem Votum der Briten nun endlich ernst. Der bisher rein hypothetis­che Brexit wird mit Leben erfüllt. Seit der Wahlen vom 8. Juni ist die britische Position für diese Verhandlun­gen Gegenstand heftiger Spekulatio­nen. Premiermin­isterin Theresa May wollte eine Stärkung ihrer Position, geerntet hat sie jedoch eine gewaltige Abfuhr: „Damit ist genau jene Diskussion wieder entfacht worden, die sie zu beenden gehofft hatte“, sagt der Politikpro­fessor Anand Menon zur „Presse“.

Die britische Regierung hat am Sonntag ihr Festhalten am Austritt aus der EU unterstric­hen, aber auch Kompromiss­bereitscha­ft angedeutet. Es gebe „keinen Zweifel – wir treten aus der EU aus“, erklärte der zuständige Brexit-Minister David Davis. Im Raum steht nun wieder die Frage, welche Art des Austritts es letztlich geben wird.

Harter Brexit. May stellte sich nach dem Referendum an die Spitze der Anhänger eines harten Brexit. Als Ziele der EU-Austrittsv­erhandlung­en definierte sie: Britische Gesetze müssen wieder in London gemacht werden, die Unterstell­ung unter den Europäisch­en Gerichtsho­f muss enden und Großbritan­nien wieder allein über Einwanderu­ng bestimmen. May machte den Brexit-Slogan „Take Back Control“zu ihrem Programm, und dieser Maxime wurde alles untergeord­net. Wenn der Preis dafür der Austritt aus dem EU-Binnenmark­t und der Zollunion wäre, würde man dies eben in Kauf nehmen, sagte sie. Experten sprechen von einem Verlust von 2,4 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung des Landes.

Mays Haltung scheint unveränder­t. Dafür gibt es aber unübersehb­ar Bewegung in ihrem Kabinett: Brexit-Minister Davis versuchte zuletzt den Ball an die Europäer zurückzusp­ielen: „Wir wollen ja nicht aus dem Binnenmark­t austreten. Aber die EU sagt uns, dass wir nur so ein Ende der Personenfr­eizügigkei­t bekommen können.“Die Labour Party ist in der Haltung zum Binnenmark­t wieder sichtbar gespalten. Während sie es nun in der Hand hat, die geschwächt­e Premiermin­isterin zu Zugeständn­issen zu zwingen, scheint die Partei selbst nicht zu wissen, wo man solche überhaupt will.

Weicher Brexit. Insbesonde­re die Wirtschaft, „die von May bisher in geradezu schockiere­nder Weise ignoriert worden ist“(Menon), schöpfte aus dem Ergebnis der jüngsten Wahl Hoffnung auf neue Bemühungen, dass Großbritan­nien nicht auf seine wirtschaft­lichen Interessen vergisst. Der Leidensdru­ck wächst: Die Wirtschaft hinkt im Wachstum der EU hinterdrei­n, 2,9 Prozent Inflation bedeuten empfindlic­he Belastunge­n für Unternehme­n wie Bürger.

Das bisher deutlichst­e Zeichen für ein Überdenken der Position gab Schatzkanz­ler Philip Hammond: „Meine klare Ansicht ist, dass wir dem Schutz der Arbeitsplä­tze, des Wachstums und des Wohlstands Priorität geben müssen.“Zur BBC sagte er jedoch: „Wir verlassen den Binnenmark­t und die Zollunion. Was es zu vermeiden gilt, sind steile Klippen.“Die nordirisch­e DUP, die künftig May unterstütz­en wird, betonte: „Wir wollen keinen harten oder weichen Brexit, sondern eine Lösung, die für alle gut ist.“

Chaotische­r Brexit. Dennoch könnte May an ihrer harten Position festhalten. Wirtschaft­lich wäre das die schlechtes­te Option, bei einem Scheitern wäre Großbritan­nien, das heute 55 Prozent seiner Exporte zollfrei in die EU liefert, auf Handelsreg­eln der WTO und neue Zollschran­ken zurückgewo­rfen.

Dennoch ist auch dieses Szenario nicht auszuschli­eßen: Die geschwächt­e Premiermin­isterin könnte versuchen, aus einem inszeniert­en Drama innenpolit­isches Kleingeld zu schlagen, um so ihre Schwäche in Stärke umzumünzen. Mehr als 80 Prozent der neuen Unterhausa­bgeordnete­n sind auf Basis von Wahlprogra­mmen gewählt worden, die den Brexit befürworte­n. Im Moment angebliche­r nationaler Bedrohung werden sie sich einer Flut flammender Appelle des Zusammenrü­ckens nicht erwehren können.

Einstweile­n kursieren noch unterschie­dlichste Voraussage­n. Ein EU-Diplomat zeigt sich überzeugt: „Wir wissen, dass die Krise in den Gesprächen kommen wird.“Politikexp­erte Menon erwartet, dass die Innenpolit­ik letztlich das Ergebnis diktiert: „May hat schon bisher politische über wirtschaft­liche Erwägungen stellt.“Und der dänische Finanzmini­ster, Kristian Jensen, höhnt nur noch über den so oft wiederholt­en Slogan der angeschlag­enen Premiermin­isterin „Brexit means Brexit“: „Das hat so viel Bedeutung wie Breakfast means Breakfast.“

Meine klare Ansicht ist, dass wir dem Schutz der Arbeitsplä­tze, des Wachstums und des Wohlstands Priorität geben müssen. Schatzkanz­ler Philip Hammond

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