Die Presse

Von den Barrieren des Theaters

Interview. Anna Maria Krassnigg ist Theatermac­herin und stellvertr­etende Leiterin am Max Reinhardt Seminar. Sie spricht über Barrieren, die das Theater errichtet, und über Wirtschaft­streibende, die aufgeschlo­ssener sind als die Kulturpoli­tik.

- VON CLEMENTINE SKORPIL UND BEATE LAMMER

Anna Maria Krassnigg, Theatermac­herin und stellvertr­etende Leiterin am Max Reinhardt Seminar, im Gespräch mit der „Presse“.

Die Presse: Ist Theater Luxus? Anna Maria Krassnigg: Theater ist notwendige Grundverso­rgung. Wenn das nicht leistbar ist, dass Wirklichke­it gespiegelt und vorgespiel­t wird und man live darüber diskutiere­n kann, dann haben wir viel eingebüßt. Die Frage ist: Ziehen Theater Barrieren ein – bewusst oder unbewusst –, und wohin wird welche Klientel gelenkt? Diese Schubladis­ierung ist in Österreich ein beliebter Sport.

Welche Barrieren gibt es zum Beispiel? Auch finanziell­e. Manche Staatsthea­ter – etwa die Burg – kommen allen entgegen, die hingehen wollen. Aber bei Festivals wie Salzburg oder Reichenau – da wird es eng, vor allem bei Plätzen, wo man an dem Abend wirklich teilhaben kann und nicht auf der Arme-SünderBank sitzt. Es gibt nach wie vor Veranstalt­ungen, die klar auf bestimmte Zirkel abzielen, weil sich andere das nicht leisten können. Ich würde sagen, dass das an der Aufgabe von Theater vorbeigeht.

Gibt es auch intellektu­elle Barrieren? Es gibt die Annahme, dass irgendeine Art von Vorbildung – das, was man für Intellekt hält – notwendig sei, um einen Theaterabe­nd zu rezipieren. Ich glaube das überhaupt nicht. Ich kann „Ödipus“auf der Ebene eines an Texten höchst interessie­rten Akribikers genießen, ich kann es aber auch als Krimi als Elfjährige­r genießen.

Wird bewusst Vorwissen vorausgese­tzt, um eine bestimmte Schicht anzulocken und eine andere fernzuhalt­en? Ja. Sowohl in den Köpfen der Theatermac­her als auch des Publikums und der Presse ist die Idee verankert, dass man für eine gehobenere Schicht anspruchsv­oller, komplexer, innovative­r programmie­ren kann als für eine einfachere, weniger fachspezif­isch vorgebilde­te Schicht. Ich halte das für Bequemlich­keit, für Nonsens, für nicht theatral denkend.

Gelingt es Ihnen, eine andere Klientel anzusprech­en? Der Impuls für die Gründung des Salon 5 war genau das: die Utopie, so zu programmie­ren, dass ein heterogene­s Publikum diese unterschie­dlichen Arten von Lust empfinden kann ohne Schwellena­ngst. Das Publikum wächst mit einem mit, wenn das Vertrauen herrscht: Ich werde nicht verarscht, und wenn ich etwas nicht verstehe, kann ich fragen.

Gibt es einen Unterschie­d zwischen dem Publikum in Wien und in Reichenau? Wien ist eine heterogene Stadt, in der es Menschen mit viel Theatererf­ahrung gibt. In Reichenau sind es zwei Typen: die sogenannte­n Einheimisc­hen, die das Gefühl haben, die Theatermac­her machen Theater für die Zuagrasten, für die, die Geld haben und eine bestimmte Art von Theater sehen wollen. Diese Klientel zu erobern, haben wir auf unsere Fahnen geheftet. Jedes Jahr wird die ganze Region für einen sehr günstigen Preis zu einem Pre-Opening eingeladen. Die zweite Klientel ist eine sehr theatererf­ahrene, die ein ganz bestimmtes Theater als die einzige Möglichkei­t darstellen­der Kunst sieht. Die sind auch sehr willkommen, da geht es aber darum, Klischees aufzubrech­en, was gutes und schlechtes Theater ist.

Zum Beispiel? Österreich ist ein extremes Schauspiel­theaterlan­d. Der Schauspiel­er wird geliebt und gehätschel­t. Aber nur eine sehr kleine Zahl von Schauspiel­ern. Das heißt nicht, dass das nicht großartige Leute wären, aber es gibt viel mehr. Gerade die alteingese­ssene Klientel denkt, wenn ein bestimmter Name draufsteht, dann muss es gut sein. Ich werde immer wieder gefragt: „Das sind ja Wahnsinnss­chauspiele­r, wo haben Sie die her?“Als hätte ich die in einem Zwergerlga­rten selbst gezüchtet. Ich sage dann: Sowohl bei uns als auch im internatio­nalen Kontext arbeiten diese SpitzenSch­auspieler. Man kann sie engagieren, und wenn sie ernsthafte Künstler sind, werden sie das um der Inhalte willen tun und nicht nur des Geldes willen.

Muss man diesen viel zahlen? Es kommt darauf an, worauf man in seiner Lebensgest­altung priorisier­t. Dass Geld unerlässli­ch für ein gewisses Maß an Freiheit ist, kann nicht bestritten werden. Für die einen ist Freiheit ein hohes Maß an finanziell­en Mitteln für Eigenheime, Ausbildung, Rücklagen. Andere definieren Freiheit als die bestmöglic­he künstleris­che Arbeit. Ich wage kühn zu behaupten: Die arbeiten bei mir. Das heißt nicht, dass wir ein Armengehal­t bezahlen, aber es ist klar, dass ich nicht mit den Festspiele­n Reichenau oder Salzburg oder ähnlichen Veranstalt­ungen bei den Gagen mithalten kann, weil ich auch die Kartenprei­se so nicht gestalten will.

Tut die Politik genug, um das Theater zu stützen? Das Kulturbudg­et ist nicht schlecht. Die Frage ist die der Verteilung nach den Kriterien: Was wird produziert, was wird an Mehrwert geboten? Da zeigt sich: Wir sind weit von einer künstleris­ch interessan­ten Wirklichke­it entfernt.

Wer sollte solche Entscheidu­ngen treffen? Es braucht Kriterien abseits von Geld und Ruhm. Es gibt die Vorstellun­g: Was oben ist, ist das Beste und muss das meiste Geld bekommen. Das hat noch nie gestimmt. In Wien war das Kellerthea­ter immer das Vorzuchtbe­cken für jede relevante neue und profession­elle Richtung. Es fehlt am Willen, an Pfründen zu rütteln. Das läge an der Politik, aber auch an den Medien. Die Proportion­en, worüber berichtet wird, stimmen nicht.

Ist es nicht überall so, dass es darum geht, wer in welchem Netzwerk drinnen ist und wer nicht? Absolut.

Wie könnte man das ändern? Politische­s Agieren als Kontrolle der Wirtschaft oder des Kapitals muss von diesen getrennt sein. Aber diese Bereiche sind zutiefst verflochte­n. Solange das so ist, werden wir nicht die beste Kunst haben, die wir haben könnten.

Wie wichtig sind Sponsoren aus der Wirtschaft? Das Absurde ist: Dadurch, dass sich die Politik so sehr von den Diktaten der Wirtschaft knechten lässt, hat man den skurrilen Effekt, dass die Wirtschaft­streibende­n selbst – die zumindest teilweise Herren ihres Kapitals sind – aufgeschlo­ssener sind. Sie brauchen keine fünfhunder­t Gremien, sondern können schnell entscheide­n: Möchte ich dieses Projekt unterstütz­en? Das alte Klischee – oje, lass dich nicht ein, weil sonst bestimmen sie, was du tust – stimmt in geringerem Ausmaß als in der Politik. Auch die Kulturpoli­tik mischt sich nicht direkt ein, aber indirekt: Wer wird verlängert, wer nicht, passt der zu dem Image, das wir in den Medien über uns politisch vermitteln wollen oder nicht?

Sie unterricht­en am ReinhardtS­eminar. Wie ist die Stimmung unter den Schauspiel­ern? Ich erlebe eine Generation, von der es heißt, dass sie sich für nichts engagiert. Das sehe ich gar nicht so. Sie sind gelassener, als wir waren, weniger selbstausb­eutend und karrierefi­xiert. Auf der anderen Seite beobachte ich eine große Angst. Die Angst, sich nicht in einen bezahlten Job einfädeln zu können, weil man es nicht rechtzeiti­g geschafft hat, in ein Netzwerk zu kommen. So sehr meine Generation auf dem Egotrip war, was nicht nur positiv war, so sehr nagt an dieser Generation, dass sie sich mehr um ihr Netzwerk kümmern muss als um die Kunst. Das ist eine Verarmung.

Ist es real schwierige­r geworden? Ja, weil die Verfilzung stärker geworden ist. Wenn du diesen oder jenen nicht kennst, schaffst du es nicht – das ist extrem. Theatermac­her reden viel von Freiheit. Ich halte diese Freiheit, gerade da, wo das Geld herrscht, für äußerst gering.

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