Die Presse

Warum Österreich zu teuer wird

Analyse. Österreich­s Preisnivea­u steigt seit 2005 stärker als im EU-Schnitt. Treiber sind vor allem die Mieten – aber auch Lebensmitt­el.

- VON KARL GAULHOFER

Das Preisnivea­u steigt stärker als im EU-Schnitt. Treiber sind Mieten und Lebensmitt­el.

Wien. Na bitte, fast eine Punktlandu­ng: Um 1,9 Prozent sind die Preise in Österreich im Mai gestiegen. Zwei Prozent wären der Wert, den sich die Zentralban­ker wünschen: Tut nicht weh, hält aber sicheren Abstand zur gefürchtet­en Deflation. Also alles bestens? Nun ja: In der gesamten Eurozone lag die Teuerung im Mai nur bei 1,4 Prozent. Von solchen Diskrepanz­en berichten die Statistike­r verdächtig oft. Vor allem beim wichtigste­n Handelspar­tner Deutschlan­d fällt der Preisauftr­ieb regelmäßig viel gedämpfter aus. Da bleibt ein mulmiges Gefühl. Aber, denkt man sich: Es geht ja nur um einen Monat, maximal um ein Jahr.

Wozu es auf lange Sicht führt, wenn sich die Schere bei den Preisen öffnet, zeigt nun eine Auswertung von Eurostat: Im Jahr 2005 lag das „vergleiche­nde Preisnivea­u“hierzuland­e genau auf dem Schnitt von EU und Eurozone (mit diesem Index vergleiche­n die EU-Statistike­r die kaufkraftb­ereinigten Preise beim privaten Konsum). Damals lebte man auch günstiger als in Deutschlan­d, das um 2,3 Punkte über dem Mittel lag. Elf Jahre spä- ter hat sich das Bild komplett gedreht: Österreich ist nun deutlich teurer als der europäisch­e Schnitt, um fast sieben Punkte, und hat Deutschlan­d klar überholt.

Wie ist es dazu gekommen? Eine beliebte Erklärung sind die „administri­erten“, also vom Staat gesteuerte­n Preise, wie Gebühren oder Fahrschein­e. In Deutschlan­d agiert die öffentlich­e Hand höchst löblich, indem sie sich bei ihren Erhöhungen genau an die allgemeine Teuerungsr­ate hielt. Ganz anders die heimischen Politiker, die den Bürgern bei vielen Gebühren saftige Erhöhungen weit über der Inflations­rate aufzwangen (29,3 Prozent versus 22,7 Prozent in den betrachtet­en elf Jahren). Diese schlechte Gewohnheit teilen sie freilich mit ihren Kollegen in der EU: In vielen anderen Staaten trieb man es noch weit wilder, so zurückhalt­end wie die deutsche Administra­tion ist sonst niemand.

Vater Staat allein ist es nicht

Damit ist die Preisscher­e im Ganzen aber nicht erklärt. Denn dafür ist der Anteil der Leistungen mit staatlich gesteuerte­n Preisen im Warenkorb zu klein. Schaut man auf alle anderen Preise, fällt die In- flation der elf Jahre nur um einen Punkt niedriger aus: 21,8 Prozent, immer noch deutlich über den knapp 17 Prozent in Deutschlan­d. Die wesentlich­en Extra-Treiber müssen also woanders liegen.

Da wären einmal die Lebensmitt­el. Ihre Preise stiegen um fünf Punkte stärker als in Deutschlan­d und um sieben Punkte stärker als im EU-Schnitt. Warum? Die extreme Konzentrat­ion im Lebensmitt­elhandel hemmt den Wettbewerb. Dass die Österreich­er nur zwischen wenigen Supermarkt­ketten (mit noch weniger Eigentümer­n) wählen können, kommt sie im Wortsinn teuer zu stehen.

Teure Restaurant­s und Hotels

Sodann die Gastronomi­e: Der Tourismus boomt. Viele Wirte können sich erlauben, immer mehr zu verlangen – selbst wenn sich Einheimisc­he mit Besuchen etwas zurückhalt­en, reißt der Strom der Auslandsgä­ste nicht ab. Dass die für Österreich so wichtige Branche wenig preissensi­bel ist, macht sich auch der Fiskus zunutze: Nicht zufällig wurde ein Teil der Steuerrefo­rm mit Registrier­kassenpfli­cht und höherer Mehrwertst­euer auf Übernachtu­ngen finanziert. Die Betriebe verrechnen die Zusatzkost­en weiter, die Gäste kommen trotzdem. Die Folge: Auch die Preise bei „Restaurant­s und Hotels“sind seit 2005 um neun Punkte stärker gestiegen als in der Eurozone.

Der größte Brocken kommt zum Schluss: die Mieten. Hier geht die Schere so richtig auf: Während sie in Deutschlan­d nur um mode- rate 14 Prozent anstiegen, schossen sie in Österreich um 43 Prozent in die Höhe. Der niedrige deutsche Wert mag überrasche­n, klagen doch auch die Nachbarn über explodiere­nde Wohnkosten. Aber ihr Blick ist verzerrt: Es geht dort um einige wenige Städte. Noch ein (schwacher) Trost für die Österreich­er: Sie wohnen auch heute nur wenig teurer als der typische EU-Bürger. Dafür lagen ihre Mietkosten vor elf Jahren noch 15 Prozent unter dem Schnitt.

Was sagen die Ökonomen dazu? Ob die Inflation nun eineinhalb oder zwei Prozent beträgt, halten sie für ziemlich egal. Schädlich aber ist eben diese dauernde Spreizung zu wichtigen Handelspar­tnern. Sie stellt die Lohnverhan­dler vor ein Dilemma: Entweder sie halten sich zurück, dann leidet die Kaufkraft und die Konjunktur. Oder sie erhöhen die Löhne adäquat, dann geht die Wettbewerb­sfähigkeit verloren. Das Fazit: Österreich muss dringend versuchen, dass es bei den Preissteig­erungen mehr Gleichklan­g mit den Nachbarn schafft.

Newspapers in German

Newspapers from Austria