Die Wiener „Festl“-Wochen – ein Absturz in die Bedeutungslosigkeit
Event-Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat mit Underground-Intendant Tomas Zierhofer-Kin ein Experiment gewagt. Er sollte es abbrechen. Jetzt.
Die vielen Gelegenheiten, bei denen der neue Intendant der Wiener Festwochen ausführlich im Vorfeld und seit Mitte Mai bei Einführungen erklärt hat, was dem aufzuklärenden Publikum hier demnächst geboten werde, ließen staunen. Waren seine Phrasen ernst gemeint oder bereits Teil einer spontanen DadaShow, in der sich Tomas Zierhofer-Kin zynisch über veraltete Postmoderne oder neuere After-Soziologie lustig machte? Das weckte Neugier. Mit welchen tollen Erfindungen würde er uns überraschen?
Nach 38 Tagen Festival kann man bilanzieren: Das ZK-Team hat einen Perspektivenwechsel vollzogen. Die Festwochen stehen nicht mehr im Zentrum des Kulturlebens der Bundeshauptstadt, sondern man hat es vorgezogen, an die Peripherie zu gehen. Ihr Stammpublikum, das bisher gewohnt war, Aufsehen erregende dramatische Produktionen aus aller Welt zu besuchen und in guten Jahren sogar außergewöhnliche Avantgarde aus Musik und Kunst, wird ausgetauscht. Frische Konsumenten braucht das Land, die zu einem aufgeblasenen Multifunktionszelt mit Gratis-Service in Favoriten passen. Man fühlt sich in eine brave Variante der Siebzigerjahre zurückversetzt. Arena ohne echte gesellschaftliche Konsequenz.
Die Retro-Gestalter mögen offensichtlich keine andere konventionelle Kultur, sondern Underground, Schein-Aktionismus und politische Korrektheit. Über allem schwebt das Motto dieser seltsamen Wochen im Mai und Juni: „Party! Party! Party!“Die Festwochen sind zum Wiener „Festl“mutiert. Wenn es tatsächlich die Absicht von Zierhofer-Kin war, mutwillig eine alles in allem über viele Jahrzehnte erfolgreiche Institution abzutragen, um sich dem Rausch des Zeitgeistes hinzugeben, dann war er höchst effizient. A ber zu welchem Preis? Es wäre etwas billig, darauf hinzuweisen, elf Mio. Euro an Subventionen seien recht übertrieben für Fringe-Events. Sie wären vielleicht ihr Geld wert, wenn tatsächlich spannende Novitäten geboten würden. Doch wird berichtet, dass aus gar nicht so wenigen Premieren das Publikum in Scharen floh. Und nicht aus Entsetzen, wegen früh einsetzender Katharsis, die sie zu et- was besseren Menschen machte, oder gar im Schock der Erkenntnis. Sondern aus Langeweile! Eine persönliche Erfahrung: „Ishvara“gehörte in diese Kategorie, so wie die Performance „Promised Ends“, die einen matten Abglanz von einst mutiger Entäußerung bot. Und „Les Robots“sollte angeblich Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“analysieren, gar „dekonstruieren“. Man sah jedoch ein Laienspiel, das wie eine perfide neue Form des Exotismus wirkte.
In der APA behauptete der Intendant letzte Woche, dass ihn „meistens Menschen zwischen 50 und 60 angesprochen“hätten, die seine Sachen toll fänden. Die über 70 hätten gesagt: „Ach wie schön, jetzt werden die Festwochen wieder wie früher.“Es muss Parallelwelten geben, denn vor und nach den Premieren traf man vorwiegend Menschen, die seit Jahrzehnten die Festwochen frequentieren und nun fassungslos über das in diesem Jahr Gebotene sind. Sie haben ihre Besuche bereits stark reduziert. Es dürfte sich um jene Gruppe handeln, auf die Zierhofer-Kin keinen Wert legt. Im erwähnten Interview sagte er, dass die „kulturjournalistische Landschaft in Österreich ziemlich im Argen“liege: „Manche Leute sind ein bisschen uninformiert auch im wirklichen Verstehen, was den Perspektivwechsel betrifft.
“Diese Meinung eines Event-Managers, der sich in der Defensive befindet, ist auch ein bisschen verständlich. Man kennt das aus Berlin und München, bald wohl auch vom Steirischen Herbst: Kuratoren übernehmen Theater, die sie eigentlich hassen, oder Festivals, die sie abgreifen. Sie machen ihr Ding. Da geht es dann fröhlich zum Friseur in der Vorstadt, gutwillig zum Integrationskurs in der Lugner City oder gar völlig queer in gänzlich abgehobene Diskurs-Diversitäten von und mit Zierhofer-Kin. Das kann auch einmal lustig sein. Ernst zu nehmen ist hingegen die Aussage gegenüber der Presseagentur, er wolle seinen „Kurs konsequent weitergehen.“Vielleicht sollte der Kulturstadtrat zuvor einen seriösen Schluss ziehen.