Macrons Triumph mit kleinen Mängeln
Frankreich. Bei den Stichwahlen zur Erneuerung der Nationalversammlung konnte die Partei von Präsident Macron mit einer starken Mehrheit rechnen. Doch die Wahlbeteiligung sank tief.
Paris. „Wozu nochmals wählen gehen, wenn ohnehin schon alles entschieden ist und das Ergebnis im Voraus feststeht...“So oder ähnlich tönten die Entschuldigungen vieler französischer Wahlberechtigten, die es beim vierten kurz aufeinanderfolgenden Wahltag nicht für notwendig gehalten haben, persönlich ihre Stimme abzugeben. Wie zu erwarten gewesen war, sank der Anteil der aktiven Wähler mit deutlich weniger als der Hälfte der Stimmberechtigten auf einen historischen Tiefpunkt.
Das sonnige Sommerwetter in weiten Landesteilen förderte nicht unbedingt die Erfüllung der demokratischen Bürgerpflicht. Im zweiten Wahlgang zur Bestellung des Parlaments gaben bis Sonntagmittag rund 17,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen ab, wie das Innenministerium bekannt gab. Die Beteiligung war damit noch schwächer als im ersten Wahlgang vor einer Woche, als bis zum Mittag 19,2 Prozent abgestimmt hatten. Damals lag die Wahlbeteiligung am Ende des Tages bei 48,7 Prozent – der bisher niedrigste Wert bei einer Parlamentswahl seit Gründung der Fünften Republik 1958.
Gültig ist das Resultat abgesehen davon ohnehin, und die neue Mehrheit zugunsten von Präsident Emmanuel Macron kann ihre gesetzgeberische Legitimität damit begründen.
Klares Votum für Programm
Die Ausgangslage vor den Stichwahlen in 573 der insgesamt 577 Wahlkreisen der Republik ließ laut der einhelligen Prognose der Umfrageinstitute tatsächlich kaum Zweifel daran, dass Macrons Regierung und seine Partei, „La Re-´ publique en marche“(REM), von den Wählern eine überdeutliche absolute Mehrheit und damit einen ebenso klaren Auftrag zur Umsetzung des Programms erhalten würde. Umfragen zufolge kann sein Lager mit bis zu 470 der 577 Sitzen in der Nationalversammlung rechnen.
Demotivierte Opponenten
Entsprechend enttäuscht und demobilisiert waren beim zweiten Durchgang der Wahl der Abgeordneten die Anhänger aller anderen Parteien. Sie scheinen angesichts des spektakulären Vormarschs von REM und deren Kandidaten weitgehend resigniert zu haben.
Bezeichnenderweise waren schon am ersten Wahlsonntag viel weniger Wähler des rechtsextremen Front National (FN) oder der linken „France insoumise“(FI) an die Urne gegangen als bei den Präsidentschaftswahlen für die jeweiligen Kandidaten, Marine Le Pen für den FN und Jean-Luc Melen-´ chon für die „Unbeugsamen“von FI. Diese beiden politisch entgegengesetzten Oppositionsparteien sind darum in der zukünftigen Nationalversammlung nur mit einer Handvoll Abgeordneten vertreten, was nicht ihrer reellen Stimmenstärke entspricht.
Mit verheerenden Niederlagen mussten aber auch die zuvor regierenden Sozialisten (PS) und Grünen rechnen und – in etwas abgemildertem Ausmaß – die Konservativen (LR-UDI). Beide traditionellen Regierungsparteien verlieren massiv Sitze und können froh sein, wenn sie noch über ihre Fraktionsstärke verfügen.
Für ihre Vertreter stellt sich künftig die Frage, ob sie im Parlament mit oder gegen die Regierung arbeiten wollen. So oder so bleibt abzuwarten, was diese geschwächte und zersplitterte Opposition angesichts der vereinten Übermacht der Abgeordneten von REM und der zentrumsdemokratischen Koalitionspartei MoDem vermag. Sowohl bei den unter den Parteibezeichnungen PS oder LR in die Nationalversammlung Gewählten könnte eine Reihe von externen Macron-Sympathisanten jetzt noch ins Lager der Regierungsmehrheit überlaufen.
Für die Regierung dagegen stellt sich wegen der überreichen Ernte an Sitzen eher das Problem, dass die überwiegende Zahl der Parlamentsneulinge keinerlei Erfahrung mit den Prozeduren und Gebräuchen der Nationalversammlung haben. Das kann unter anderem zu Pannen und peinlichen Disziplinverstößen führen.
Einschulung der Mandatare
Die erste Aufgabe der riesigen REM-Fraktion wird darum darin bestehen, die Neo-Politiker bei einem zweitägigen Einführungsseminar am kommenden Wochenende für ihre Rolle anzulernen. Ihr erster Bewährungstest wird am 4. Juli die Regierungserklärung von Premierminister Edouard Philippe mit anschließendem Votum sein.
Danach sollen sie in einer bis Mitte August verlängerten Sondersession das Eiltempo der Staatsführung halten, die nach einer Abstimmung über eine Vorlage zur „Moralisierung der Politik“(strengere Kontrolle von Politikern) auch ihre umfassenden Arbeitsmarktreformen noch während des Sommers im Dringlichkeitsverfahren verabschiedet haben möchte.