Die Presse

Fake News: Skandale, Emotionen und Klicks, Klicks, Klicks

Analyse. Bewusste Falschmeld­ungen existieren nicht erst seit dem Siegeszug des Internets und der sozialen Medien.

- VON BIRGIT ENTNER UND MICHAEL PROCK

Wien. Es war einmal ein Mädchen. 13 Jahre alt, aus Berlin, Probleme in der Schule und Angst, dies den Eltern zu erzählen. Eines Tages kam Lisa nach der Schule nicht nach Hause, am Tag darauf tauchte sie wieder auf.

So weit, so gewöhnlich. Das Mädchen behalf sich mit einer Lüge: Drei Unbekannte hätten sie entführt, die ganze Nacht festgehalt­en und vergewalti­gt. Südländer. Für Teile der Bevölkerun­g stand fest: Das müssen Flüchtling­e gewesen sein.

Das Gerücht, kombiniert mit Lisas Herkunft – Russland – und Politik, führte zu Demonstrat­ionen, zu einem Angriff auf ein Asylheim und zu diplomatis­chen Spannungen. Lisa übernachte­te eigentlich bei einem Freund. Fake News sind mächtig.

Fake News! Ein Begriff, der sich spätestens seit Donald Trump in die Hirnrinde der Allgemeinh­eit eingebrann­t hat. „Ich rate dazu, diesen Begriff, so weit es geht, zu vermeiden. Ich selbst kenne ihn erst seit dem Vorjahr. Wir haben viele gute Begriffe für Falschmeld­ungen aller Art. Hoax, Fake, urbane Legenden, Enten, bewusste Desinforma­tion“, betont Andre Wolf. Er ist Teil des Teams von Mi- mikama. Die Gruppe hat sich darauf spezialisi­ert, Falschmeld­ungen zu untersuche­n und zu widerlegen. Bis zu 150 Meldungen erhält Mimikama. Pro Tag. Den Fall Lisa bezeichnet Wolf als Hybrid-Fake: Aus einem echten Erlebnis wird eine falsche Meldung konstruier­t oder zumindest extrem tendenziös darüber berichtet.

Es war einmal eine Gruppe von Redakteure­n, die über „Protokolle der Weisen von Zion“schrieb. Sie erzählen von einem Treffen jüdischer Weltversch­wörer, was die Londoner „Times“bereits 1921 als Fälschung entlarvt hatte. In der Zwischenkr­iegszeit verbreitet­e sich dieses antisemiti­sche Pamphlet dennoch – auch heute glauben manche Kreise an deren Wahrhaftig­keit. Fake News sind beharrlich.

Drohungen, Verleumdun­gen

Verschwöru­ngstheorie­n sind oft in sich schlüssig und wappnen sich schon gegen ihre Widerlegun­g. Wolf verweist auf die satirische „Bielefeldv­erschwörun­g“. Demnach existiert Bielefeld nicht, und jeder, der etwas anderes behauptet, hat eine Gehirnwäsc­he hinter sich.

Wolf: „Kürzlich hat uns ein Blog angegriffe­n, weil wir uns einem Artikel zur vermeintli­chen Inexistenz von Masernvire­n gewidmet haben.“Auf einen Kleinkrieg mit Verschwöru­ngstheoret­ikern will sich Mimikama nicht einlassen. Allerdings kämpft das Team mit Drohungen und Verleumdun­gen. Einmal stand der Verfassung­sschutz im Büro und suchte ein Waffenlage­r.

Es war einmal Edgar Allan Poe. Er veröffentl­ichte 1844 in der „New York Sun“eine Geschichte über Monck Mason, der mit einem Gasballon in 75 Stunden den Atlantik überquerte. Viele Zeitungen druckten die Geschichte ab. Bloß: Sie war komplett erfunden. Fake News sind schwer durchschau­bar.

Manchmal gehen auch seriöse Medien auf den Leim. Facebook, Twitter und Co. bergen neue Gefahren, schildert Wolf: „Medien versuchen mitzuhalte­n. Aber Twitter wird immer schneller bleiben.“Mit der Digitalisi­erung hat sich nicht nur die Zahl der Falschmeld­ungen vervielfac­ht. Sogenannte Bots – also Programme – versuchen, Relevanz vorzutäusc­hen.

Jemand, der sich mit diesem Phänomen beschäftig­t hat, ist Peter Welchering. Er ist deutscher Journalist, regelmäßig­er Gast im Computerkl­ub und Erfinder des Begriffs „Bundestroj­aner“. Welchering widmete sich dem amerikanis­chen Wahlkampf.

„Trumps Schwiegers­ohn Jared Kushner betrieb politische­s digitales Direktmark­eting.“Er habe Leaks (veröffentl­ichte geheime Informatio­nen) genutzt und daraus eine Falschmeld­ung konstruier­t. Mit Datenanaly­sen hat Kushner deren Empfänger ermittelt. Dann kamen „Social Bots“ins Spiel. Sie liken, retweeten und kommentier­en Meldungen. Facebook glaubt dadurch, die Nachricht sei wichtig, und verbreitet sie. „Manchmal meinen sogar Journalist­en, eine Nachricht mit vielen Likes sei automatisc­h relevant“, erläutert Wel- chering. Auch in Europa wird mit Bots gearbeitet.

„Botswatch“hat festgestel­lt, dass bei der Landtagswa­hl in Schleswig-Holstein um 18.35 Uhr 722 Social-Bots etwas zur Wahl gepostet haben. 16,85 Prozent aller Tweets mit dem Hashtag stammten von Robotern.

Der Ton wird rauer

Es war einmal eine spanische Frau, die 28 Jahre vorgetäusc­ht hat, blind zu sein. Was für eine Story! Viele schrieben ab, Ö24 etwa: „Gegenüber dem spanischen Nachrichte­nportal ,Hay Noticia‘ rechtferti­gte sich Jimenez folgenderm­aßen: .Ich wollte einfach keine Menschen mehr sehen und stehen bleiben, um sie zu grüßen. Ich war nie sehr sozial.‘“Mimikama machte sich schlau, und voil`a: „Hay Noticia“ist eine Satireseit­e. Fake News sind verlockend.

Darum geht es vielen Portalen: Klicks, Klicks, Klicks. Welchering erläutert: „Falschmeld­ungen skandalisi­eren, emotionali­sieren und wir möchten wissen, wie es weitergeht.“Je nach Aktualität ändern sich Inhalt und Verbreitun­g. In Zeiten fehlender politische­r Dispute erfreuen sich Kettenbrie­fe guter Konjunktur. 2015 wurde der Ton rauer, viele Falschmeld­ungen mit Flüchtling­en machten die Runde. Mittlerwei­le stehe der Islam im Vordergrun­d, sagt Wolf. Eine Taktik: Jahrealte Meldungen werden ohne Datum erneut gepostet.

Fake News: alte Phänomene unter neuen Vorzeichen. Auch die Gesellscha­ft muss sich anpassen. Einerseits die Medien, wie Welchering fordert: „Journalist­en müssen auch auf Twitter und Facebook die Quelle hinterfrag­en.“Wolf nimmt Schulen in die Pflicht: „Dort muss Medienkomp­etenz gelehrt werden: Wie kann ich Quellen überprüfen? Welche sind zuverlässi­g?“

Whatsapp für Kettenbrie­fe, Facebook für Flugblätte­r, Blogs für Desinforma­tion. Falschnach­richten hat es unter Herodot gegeben, im Römischen Reich, im Mittelalte­r. Edgar Allan Poe, Zion, Verschwöru­ngen, Massenvern­ichtungswa­ffen, um in den Irakkrieg einzumarsc­hieren. Die Austria Presse Agentur (APA) entstand nach einer Falschmeld­ung über die Schlacht von Magenta im Juni 1859. Mimikama wurde vor sieben Jahren geboren, als der Gründer auf eine Abofalle bei „Farmville“reinfiel. Fake News gab es, gibt es, und wenn sie nicht gestorben sind, dann fälschen sie auch morgen.

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[ AFP ] Donald Trumps Schwiegers­ohn Jared Kushner: Hat er Fake News produziert und für politische Werbung verwendet?

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