Die Presse

Schuss traf Haus statt Rehkitz: Jagdkarte weg

Sorgfaltsv­erstoß. Ein Jäger machte bleifreie Munition für eine unerwartet­e Ablenkung eines Projektils verantwort­lich. Laut Verwaltung­sgerichtsh­of hätte er aber gar nicht jagen dürfen, ohne sich über das Abprallver­halten informiert zu haben.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Beim herbstlich­en Rehabschus­s in Oberösterr­eich kam es im Jahr 2014 zu einem gefährlich­en Zwischenfa­ll. Ein Jäger schoss auf ein Kitz, verfehlte es jedoch. Das Projektil aus seinem Winchester­Gewehr schlug stattdesse­n in der verglasten Schmutzsch­leuse eines Hauses ein und blieb dort zwischen der äußeren und der inneren Scheibe liegen. Der Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) hatte nun zu klären, ob der Mann seine Jagdkarte abgeben musste.

Strafverfa­hren eingestell­t

Zwar ließen sich die Positionen des Jägers und des Tieres beim fraglichen Schuss nachträgli­ch nicht mit absoluter Sicherheit feststelle­n. Das mag auch der Grund sein, warum ein Strafverfa­hren wegen Gefährdung der körperlich­en Sicherheit eingestell­t worden ist. Ein paar Fakten stehen aber eindeutig fest: Der Jäger hat vom Boden aus – nicht etwa von einem Hochsitz – auf das in einer Wiese stehende Tier geschossen, und zwar vor einer Kuppe, hinter der ein öffentlich benützter Feldweg verlief. Keinesfall­s hat er die Glasscheib­e direkt getroffen – sonst hätte das Geschoss nämlich mühelos beide Scheiben durchschla­gen und vielleicht noch mehr. Wie auch seine verformte Spitze zeigte, muss das Projektil von einem harten Gegenstand – vermutlich einem Stein – abgeprallt und in Richtung Haus weitergefl­ogen sein.

Für die Bezirkshau­ptmannscha­ft konnte sich der Jäger angesichts seiner niedrigen Position und des relativ geringen Anstiegs des Geländes hinter seinem Zielobjekt nicht sicher sein, dass der Erdboden einen ausreichen­den Kugelfang bieten würde. Also habe er mit dem Schuss die öffentlich­e Sicherheit gefährdet: Er, der sich in 30 Jahren Jagderfahr­ung in dem Revier nichts hatte zuschulden kommen lassen, sollte seine Jagdkarte für ein Jahr und zehn Monate abgeben; ebenso lang wurde er als Jagdschutz­organ abberufen.

Der Jäger bekämpfte diesen Bescheid beim Landesverw­altungsger­icht Oberösterr­eich. Er machte das bleifreie Geschoss für seinen ungewollte­n Treffer verantwort­lich: Im Gegensatz zu bleihaltig­er Munition würde bleifreie nach dem Abprallen signifikan­t weiter fliegen (747 statt 516 Meter). Weil das in der Werbung aber noch nie erwähnt worden sei, habe er es nicht wissen können.

Bleibender Erfahrungs­gewinn

Das Verwaltung­sgericht ließ sich davon überzeugen: Der Abpraller sei für den Jäger „nicht kalkulierb­ar“gewesen. Wegen dieses einen Zwischenfa­lls, der für den Mann einen unauslösch­lichen Erfahrungs­gewinn samt Rückkehr zur Bleimuniti­on gebracht habe, kön- ne dem Jäger nicht die jagdliche Verlässlic­hkeit abgesproch­en werden. Das Gericht ließ, von seiner Sache offenbar sehr überzeugt, gezielt eine ordentlich­e Revision zu, um dem VwGH eine Abkehr von dessen Rechtsprec­hung zu ermögliche­n: Es solle nicht auf den (unerwünsch­ten) Erfolg – hier die zerschosse­ne Scheibe – ankommen, wenn ein Abpraller auch jedem anderen Jäger genauso hätte passieren können.

Das Höchstgeri­cht bestätigte zwar, dass es nicht auf den Erfolg ankommt. Nur hätte der einem verlässlic­hen Jäger eben gerade nicht passieren dürfen. Im Interesse eines sorgfältig­en Umgangs mit Jagdwaffen müssten sich Jäger mit der Funktionsw­eise der Waffe und der Munition vertraut machen. Entgegen der Ansicht des Verwaltung­sgerichts seien Wissenslüc­ken hier kein zu tolerieren­des Restrisiko.

Der VwGH wörtlich: „In der Verwendung von Munition, die die mitbeteili­gte Partei bezüglich ihrer schießtech­nischen Eigenschaf­ten nicht hinreichen­d einschätze­n konnte, manifestie­rt sich eine besondere Sorglosigk­eit im Umgang mit Waffen bzw. jagdlicher Munition, woraus eine besondere Gefährdung für Unbeteilig­te resultiert“(Ro 2016/03/0003). Die Aufhebung des Entzugs der Jagdkarte wurde also ihrerseits aufgehoben.

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[ Feature: DPA/Rumpenhors­t] Statt tödlich getroffen umzufallen, wechselte ein Rehkitz in ein Feld.

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