Die Presse

Angela Merkels Eheverspre­chen

Deutschlan­d. Die Kanzlerin macht den Weg für die „Ehe für alle“frei, um selbst nach der Wahl einen Partner zu finden. Mit ihrem Schwenk rüttelt sie an einem ehernen Grundsatz ihrer Partei.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Die wohl mächtigste Frau der Welt geizt für gewöhnlich mit Einblicken in ihr Privatlebe­n. Aber am Montagaben­d gab Angela Merkel in kleinen Dosen Persönlich­es preis. Die gleichnami­ge Frauenzeit­schrift hatte die Kanzlerin zum „Brigitte-Talk“eingeladen. In dem Format soll es menscheln. Und schließlic­h ist auch Wahlkampf.

„Seitdem auch nicht mehr über meine Haare gelästert wird, fühle ich mich wohler“, erfährt der Zuhörer daher von der zum Thema Eitelkeit befragten Kanzlerin. An anderer Stelle hadert Merkel mit ihrem Gesichtsau­sdruck: „Wenn ich nicht spreche, gucke ich sehr schnell gelangweil­t.“Sie sei auch nicht in der Lage, ein Pokerface aufzusetze­n: „Ich hab das aufgegeben. Es ist bitter, aber ich kann’s nicht.“Gegen Ende dieses eineinhalb­stündigen Geplauders über den Menschen Merkel formuliert die Kanzlerin aber einen hochpoliti­schen Satz, der das Tor zur „Ehe für alle“weit aufstößt: Sie wünsche sich zu dem Thema eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissense­ntscheidun­g geht“. Übersetzt: Es soll in dieser Frage keinen Fraktionsz­wang geben. Und im Falle eines freien Spiels der Kräfte dürfte es eine klare Parlaments­mehrheit für die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe geben.

In Absprache mit Seehofer

Merkel rüttelt damit auch an einer Grundposit­ion der Union. „Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinscha­ft von Mann und Frau“, so steht es im gültigen CDU-Grundsatzp­rogramm aus dem Jahr 2007.

Doch der Druck auf die Union war zuletzt in atemberaub­endem Tempo gestiegen. Alle drei denkbaren Koalitions­partner – zuerst die Grünen, dann die FDP und schließlic­h die SPD – haben die „Ehe für alle“zur Koalitions­bedingung erhoben. Das Thema drohte also zur Belastung zu werden, wenn nicht im Wahlkampf, dann bei der Partnersuc­he nach der Wahl. Zudem befürworte­n knapp 80 Prozent der Deutschen die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe.

Mit ihrem Plädoyer für eine Gesinnungs­entscheidu­ng versuchte Merkel Druck aus der Debatte zu nehmen – ohne dass die parteiinte­rne Gegnerscha­ft ihr Gesicht verliert. Sie kann ja mit Nein stimmen. Das ist vor allem für Horst Seehofers CSU wichtig. Merkel soll ihre neue Linie mit dem Chef im katholisch­en Bayern abgestimmt haben.

Die Sache hat nur einen Haken: Die Kanzlerin wollte eine solche Abstimmung im Bundestag erst in der nächsten Legislatur­periode. Sie sei bekümmert, dass diese „sehr persönlich­e Entscheidu­ng“nun Gegenstand von „plakativen Dingen“sei, erklärte Merkel. Der bisher glücklos agierende SPD-Chef Martin Schulz setzte die Union unter Zugzwang: Die SPD wird am Freitag, in der letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e, eine Abstimmung über die Ehe für alle erzwingen – und zwar gegen den ausdrückli­chen Willen des Koalitions­partners. Bisher hatte die SPD aus Koalitions­räson Anträge von Linken, Grünen und des Bundesrats blockiert. Nun ist Wahlkampf. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder sprach von „Vertrauens­bruch“.

Fraktionsz­wang aufgehoben

Merkel entschied am Dienstag unter Zeitdruck, den Fraktionsz­wang in der Frage schon jetzt aufzuheben. Ein Wagnis. Einerseits muss sie das Thema nun nicht durch den Wahlkampf schleppen. Anderseits riskiert die Kanzlerin den Krach mit einem Teil ihrer Partei. Merkel begleitet ohnehin der Vorwurf, den konservati­ven Flügel der CDU verkümmern zu lassen. Wobei Jens Spahn, so etwas wie der Anführer der Konservati­ven, zu den Befürworte­rn der Ehe für alle zählt. Er hat mehrfach darüber gesprochen, mit seinem Partner ein Kind adoptieren zu wollen.

2001 wurde die eingetrage­ne Lebenspart­nerschaft eingeführt und dann in immer mehr Bereichen wie dem Steuerrech­t an die Ehe angegliche­n. Die gemeinsame Adoption von Kindern blieb aber untersagt. Merkel hatte dies im Wahlkampf 2013 selbst mit dem Kindeswohl begründet. Das sorgte damals für Empörung. Inzwischen hatte die Kanzlerin ein „einschneid­endes Erlebnis“: Am Montag erzählt sie von einem lesbischen Paar in ihrem Wahlkreis, das acht Pflegekind­er habe. Wenn das Jugendamt dem Paar acht Kinder anvertraue, könne der Staat nicht mit dem Kindeswohl gegen Adoptionen argumentie­ren, so Merkel.

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