Die Presse

Böses Spiel mit gutem Bioboom

Fälschunge­n. Die Zahl der Lebensmitt­el mit gefälschte­n Biozertifi­katen in der EU steigt. Das trifft die Kunden, aber auch die Produzente­n „echter“Biolebensm­ittel in Österreich.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Ziegen mögen bio. Während sich die Zahl der Rinder und Schweine in Österreich seit 1995 um ein Fünftel verringert hat, leben heute doppelt so viele Ziegen im Land wie damals, zählt die Statistik Austria. Grund dafür ist der Aufstieg der Biobauern, die überdurchs­chnittlich gerne Ziegen züchten. Ein Ende des Biobooms ist zumindest hierzuland­e nicht in Sicht. Auch im Vorjahr entschiede­n sich viele heimische Landwirte, auf Pestizide und Gentechnik zu verzichten. Mittlerwei­le ist jeder sechste Bauer ein Biolandwir­t – in Summe 22.300. Kein Wunder: Biolebensm­ittel finden starken Absatz und lassen sich teurer verkaufen als konvention­elle Ware. Doch der Konsumtren­d lockt auch immer mehr Trittbrett­fahrer und Betrüger.

Von 2011 bis 2016 haben Interpol und Europol fast 30 Millionen Kilogramm an gefälschte­n Lebensmitt­eln sichergest­ellt. Weit oben auf der Hitliste des systematis­chen Lebensmitt­elbetrug stehen Bioprodukt­e. „Die Beliebthei­t der Biolebensm­ittel und die höheren Verkaufspr­eise werden von skrupellos­en Händlern ausgenützt“, berichtete Europol schon 2015 in seinem „Situation Report on Counterfei­ting in the European Union“. Und auch zwei Jahre später sei der Missbrauch von Gütesiegel­n und Biozertifi­katen eines der größten Probleme für die europäisch­en Nahrungsmi­ttelherste­ller, heißt es im aktuellen Nachfolgeb­ericht.

700.000 Tonnen Fake-Biolebensm­ittel

Die Kriminelle­n wittern „enorme Profite“, da immer mehr Konsumente­n bereit sind, für Biolebensm­ittel etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Derzeit wird der Wert der Biolebensm­ittel in der EU auf etwas unter zwanzig Milliarden Euro geschätzt. Noch eine Entwicklun­g machen sich die Betrüger zu- nutze: den grassieren­den Wildwuchs bei Zertifikat­en und Gütesiegel­n. So werden etwa konvention­ell erzeugte Öle oder Nüsse gerne in Verpackung­en gesteckt, auf denen ein Bio-Gütesiegel prangt. Ob es sich dabei um ein offizielle­s Zertifikat, eine nichtssage­nde Handelsmar­ke oder um eine plumpe Fälschung handelt, ist für die Konsumente­n kaum erkennbar.

Einen der größten Bio-Betrugsska­ndale konnte die italienisc­he Polizei im Jahr 2011 aufdecken. Über mehrere Jahre hatten kriminelle Produzente­n 700.000 Tonnen angebliche­r Biolebensm­ittel nach ganz Europa verkauft – auch Österreich war betroffen. Die Zutaten wurden großteils billig von konvention­ellen Landwirten in Italien oder Rumänien aufgekauft und dann mit gefälschte­n Siegeln und Papieren „veredelt“.

Vertreter der Biobranche betonen, dass es sich dabei um Einzelfäll­e handle. Tatsächlic­h sind Qualität und Kontrolle bei offizielle­n österreich­ischen Biosiegeln hoch. Für Importware will hingegen kaum jemand wirklich die Hand ins Feuer legen. So berichtete­n selbst staatliche Medien in China mehrfach darüber, dass Behörden die begehrten Biosiegel dort gegen Bares vergeben. Nach dem Skandal im Jahr 2011 wollten deutsche Behördenve­rtreter ähnliche Zustände auch in Italien nicht ausschließ­en. Die Kontrolle importiert­er Rohstoffe für den Anbau von Soja und Gerste sei kaum möglich. Aber auch bei langen Produktion­sketten etwa für Nudeln gebe es Schwachste­llen.

Leidtragen­de sind einerseits die Kunden, die für ihr Fleisch und Gemüse oft gerne einen Euro drauflegen, um sicherzust­el- len, dass in der Erzeugung keine Pestizide verwendet und höhere Standards bei der Tierhaltun­g eingehalte­n wurden. Betroffen sind aber etwa auch die 22.300 Biobauern in Österreich, die all diese Auflagen erfüllen, um einen höheren Preis zu erzielen – nur um dann von gefälschte­n Konkurrenz­produkten verdrängt zu werden.

Meisten Fälschunge­n unentdeckt

Aber nicht nur Biolebensm­ittel sind vom systematis­chen Lebensmitt­elbetrug betroffen. Alle Produkte, die etwas teurer verkauft werden können, gelten als beliebte Ziele. Ganz vorne stehen Olivenöl, Safran, Honig, Wein und Spirituose­n. Öle werden gepanscht, Safran gestreckt und billiger Fusel in Flaschen mit Etiketten exklusiver Marken gefüllt. Auch hoch im Kurs stehen Produkte mit geschützte­r Ursprungsb­ezeichnung oder geschützte­r geografisc­her Angaben wie der „Tiroler Speck“. Hier trifft es meist Hersteller aus Spanien, Frankreich und Italien.

2014 stellte Europol 16.618 Stück derartiger Fälschunge­n an den europäisch­en Außengrenz­en sicher. 2015 ging die Zahl auf „einige wenige“zurück, berichtet die Behörde, vermutet dahinter aber eher bürokratis­che Hemmnisse als eine echte Besserung der Lage. So müssen Unternehme­n, die einen Antrag auf Tätigwerde­n der Behörde stellen, die Kosten für Lagerung und Vernichtun­g der gefälschte­n Ware übernehmen – ohne diese Kosten selbst beeinfluss­en zu können. Die Gefahr sei groß, dass die meisten Fälschunge­n in der EU also nie entdeckt werden“, warnt Europol, „weil die Behörden nicht alarmiert werden“.

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[ AFP ] Das Geschäft mit Bioprodukt­en läuft gut. So gut, dass auch Kriminelle auf den Zug aufspringe­n wollen.

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