Die Presse

„Im Pop geht es um den Bruch“

Neues Album. Auf „Nacht Tag“singt Inga Humpe vom Duo 2raumwohnu­ng erstmals ein Gemisch aus Deutsch und Englisch. Der „Presse“erklärte sie, was sie von Technoschl­ager hält.

- VON SAMIR H. KÖCK 13. September, WUK.

Wir leuchteten in den Ruinen, die ganze Welt kam angerannt, everybody was in love, wir dachten Weltfriede­n bahnt sich an, now Weltfriede­n is on the run.“Prägnanter hat bislang keine deutsche Band die Ernüchteru­ng der deutschen Rave-Kultur auf den Punkt gebracht. Das kühl arrangiert­e Lied eröffnet „Nacht Tag“, das achte Album des Berliner Elektropop­duos 2raumwohnu­ng.

Der Stimme von Inga Humpe, die man uncharmant ein Urgestein der deutschen Musikszene nennen könnte – sie sang bei der Punkband Neonbabies, aber auch bei DÖF („Codo“) –, hört man das Gewicht der Zeit nicht an. Humpe intoniert unverschäm­t mädchenhaf­t, vermittelt ein Staunen über die eigene Existenz, das gemeinhin nur Pubertiere­nden zugeordnet wird. So jung wie diese 61-jährige klingen ihre imaginären Enkel in den heutigen Clubs nie. Das Elektropop­duo 2raumwohnu­ng hat Humpe vor 17 Jahren mit ihrem Lebensgefä­hrten Tommi Eckart gegründet, seither machen die beiden zeitlose Musik von internatio­naler Anmutung. Bisher allerdings nur mit deutschen Texten. Auf „Nacht Tag“singt Humpe erstmals ein Gemisch aus Englisch und Deutsch, als Einflüsse dafür nennt sie Falco und Bilderbuch. Aber an einen internatio­nalen Durchbruch denkt sie schon lange nicht mehr: „Die Weltkarrie­re ist mir zu stressig. Die muss passieren oder eben nicht. Welthits muss man nebenbei schreiben.“

Eigenes Label „It Sounds“

Trotzdem sind auf dem aktuellen Album ein paar Ohrwürmer, die jene Aura abstrahlen, die für Hipster aller Nationen unverzicht­bar ist. In Songs wie „Hey Schmetterl­ing“und „Bonjour Cherie“´ (mit Gastsänger Dieter Meier von Yello) mischen sich Coolness und Beseelthei­t auf lässige Art. „Als Arbeit würde ich Musikmache­n nicht bezeichnen“, sagt Humpe: „Man braucht ja keine dicken Nerven, um die eigenen Ideen zu verwirklic­hen.“Die Situation auf dem Musikmarkt sieht sie freilich illusionsl­os: „Alle paar Jahre muss man sein Geschäftsm­odell der Wirklichke­it anpassen. Bezüglich Streaming wurden wir alle von den Konzernen verschache­rt. Die haben 40, 50 Millionen Euro als Vorschüsse kassiert, von denen den Künstlern nichts zugute kam. Also mussten wir reagieren.“So haben 2raumwohnu­ng nach vielen Jahren bei einer großen Musikfirma mit „It Sounds“ein eigenes Label gegründet. Ungestört können sie nun an den Subtilität­en ihres Sounds arbeiten und auch das Endprodukt opulenter gestalten. Das ist wichtig gerade in Zeiten, in denen der deutsche Schlager a` la Helene Fischer zeitgeisti­ge Technobeat­s kapert.

Was hält Humpe von dieser klangliche­n Annäherung des Schlagers an den Pop? „Diese Art von dumpfen Beats würden wir nie einsetzen. Vor allem aber trennen uns sprachlich Welten. Statt Heidi-Deidi-Level geht es im Pop um den Bruch, die Auslassung und die Überraschu­ng. Das Rausgehen aus dem schönen Bild – das ist es, was wir machen.“So behandeln 2raumwohnu­ng in den zehn neuen Songs komplizier­te, ambivalent­e Gefühle. Etwa im elegischen „Somebody Lonely And Me“: „Es rufen die, die was verloren haben: Komm gib mir zum Atmen was von deiner Luft“, singt Humpe zu einer magisch-kühlen Synthiemel­odie. Ein vergeblich­er Ruf nach Symbiose? „Egal wieviel Nähe man herstellt“, sagt Humpe mit einem kurzen Seitenblic­k auf Eckart, „am Ende bleibt irgendwas in einem einsam.“

Auf Fühlung mit ihrem Publikum wollen 2raumwohnu­ng auf zweierlei Art gehen: Im Herbst touren sie mit den elektronis­chen „Nacht“-Versionen ihres Albums, die akustische­n Interpreta­tionen sollen 2018 folgen.

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[ It Sounds] „Egal wie viel Nähe man herstellt, am Ende bleibt irgendetwa­s in einem einsam“: Inga Humpe mit ihrem Lebensgefä­hrten und 2raumwohnu­ng-Partner Tommi Eckart.

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