Die Presse

Die Zeichen stehen auf Bürgerkrie­g

Venezuela. Nach einem Luftangrif­f auf den Obersten Gerichtsho­f in Caracas, der auch eine Finte der Regierung gewesen sein könnte, machen Militär und Opposition endgültig mobil.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Caracas/Buenos Aires. Venezuelas Staatskris­e ist weitgehend außer Kontrolle geraten: Fast drei Monate nach Beginn der landesweit­en Proteste errichtete­n am Mittwochmo­rgen Regierungs­gegner Barrikaden in mehreren Vierteln des Großraums Caracas und auf Autobahnen im Landesinne­ren. Die Opposition­sführung forderte ihre Anhänger auf, von nun an jeden Tag zwischen zwölf und 16 Uhr mittels einer „nationalen Blockade“das südamerika­nische Land lahm zu legen.

Diese Forderunge­n folgten auf eine Serie wilder Ereignisse am Dienstag. Zuerst drohte der linkspopul­istische Präsident, Nicolas´ Maduro, live vor TV-Kameras: „Was wir nicht mit Wählerstim­men bekommen, das werden wir uns mit Waffen holen.“Dann gab Verteidigu­ngsministe­r und Armeechef Vladimir Padrino Lopez´ bekannt, dass die Streitkräf­te nun verstärkt mobile Verbände zusammenst­ellen würden, die „schneller und tödlicher“auf die Herausford­erungen der aktuellen Situation reagieren könnten.

Nationalga­rde entert Parlament

In der Nationalve­rsammlung, dem seit Jänner 2016 von der Opposition klar dominierte­n Parlament, kam es zu einem Konflikt zwischen Abgeordnet­en und der Nationalga­rde, als die Uniformier­ten Kisten mit dem Stempel der Wahlbehörd­e ins Parlament trugen, aber nicht bereit waren, zu erklären, um welches Material es sich darin handle. Der Streit, bei dem auch zwei weibliche Abgeordnet­e von Soldaten verprügelt wurden, artete aus, als zudem bewaffnete chavistisc­he „colectivos“(quasi Privatmili­zionäre bzw. Schläger der Regierungs­partei) den Gebäudekom­plex im Zentrum von Caracas umstellten und Abgeordnet­e sowie Journalist­en fast fünf Stunden lang einsperrte­n.

Währenddes­sen fasste eine Kammer des Obersten Gerichtsho­fs einen Beschluss, der Generalsta­atsanwälti­n Luisa Ortega D´ıaz entmachtet­e. Die Vertraute des 2013 verstorben­en Präsidente­n Hugo Chavez´ ist inzwischen die Führungsfi­gur für Chavisten, die Nicolas´ Maduros autokratis­chen Kurs ablehnen. Der Gerichtsho­f aus linientreu­en Richtern unter Vorsitz von Maikel Moreno, eines verurteilt­en Mörders, funktionie­rt als Maduros Rückendeck­ung, seitdem die Opposition das Parlament regiert. Darum steht das Gericht im Zentrum der Kritik der Opposition.

Aufruf zur Militärrev­olte?

Kurz vor Einbruch der Dämmerung, während die Richter tagten, flog am Dienstag ein blauer Hubschraub­er mit den Insignien der Kriminalpo­lizei über das Gebäude und warf mindestens vier Handgranat­en ab, die entweder nicht explodiert­en oder auf

der Avenida daneben einschluge­n. Offenbar wurde niemand verletzt. Später kursierten Filmaufnah­men des Vorfalls in den sozialen Netzen, die den Piloten zeigen sowie mindestens einen zweiten Mann, dessen Gesicht von einer Sturmhaube bedeckt war. Der hält ein Transparen­t mit der Aufschrift „350 Libertad“. Die Zahl verweist auf jenen Verfassung­sparagrafe­n, der das Volk ermächtigt, Autoritäte­n abzulehnen, die „demokratis­che Werte, Prinzipien und Garantien verletzten und Menschenre­chte missachten“.

Später kursierte ein Video, auf dem der Pilot, O´scar Pe´rez, zu sehen ist, ein Mitglied der Eliteeinhe­it der Kripo, Kampftauch­er und Fallschirm­springer. Man sieht ihn vor vier bewaffnete­n und maskierten Uniformier­ten. Perez´ fordert die Entwaffnun­g der paramilitä­rischen colectivos, den Rücktritt von Maduro und seiner Regierung sowie die Abhaltung freier Wahlen. Zudem forderte Perez,´ der angibt für eine Gruppe unzufriede­ner Polizisten und Militärs zu sprechen, sämtliche Waffenbrüd­er auf, den Befehlen der Regierung nicht mehr zu gehorchen.

War das nun jener „US-unterstütz­te terroristi­sche Angriff“, den Maduro alsbald verurteilt­e und aufzukläre­n versprach? Handelt es sich bei dem Flug des Elitepoliz­isten und Instagram-Addicts Perez,´ der 2016 als Hauptdarst­eller eines Polizei-Spielfilms zu reüssieren versuchte, um eine Aktion eines Profilneur­otikers? Oder wurde das Manöver von staatliche­r Seite ausgeheckt, um einen Vorwand für massiveres Einschreit­en zu haben? Viele fühlten sich an die Vorgänge in der Türkei vor knapp einem Jahr erinnert.

Parallel-Parlament der Amigos

Maduro lässt keine Zweifel an seinen Plänen. Er will am 30. Juli jene „verfassung­sgebende Versammlun­g“einberufen, die aus zuverlässi­gen Gefolgsleu­ten zusammenge­stellt wird. Mögliche Investoren, die an den Bodenschät­zen des ölreichste­n Landes der Welt interessie­rt sind, verlangen von Maduro Rechtssich­erheit. Um die zerrüttete Wirtschaft irgendwie aufzuricht­en und gleichzeit­ig seine Macht zu erhalten, braucht der Präsident nämlich ein Parlament, das folgt.

 ??  ?? Die opposition­ellen Kräfte Venezuelas drohen mit tägl stündigen Blockaden der Infrastruk­tur des südamerika­nischen Ölstaates, der seit langem ins Chaos driftet.
Die opposition­ellen Kräfte Venezuelas drohen mit tägl stündigen Blockaden der Infrastruk­tur des südamerika­nischen Ölstaates, der seit langem ins Chaos driftet.
 ?? [ Reuters ] ?? Hubschraub­erpilot Oscar´ Perez:´ ein Aufrührer gegen die Linksdikta­tur oder bloß deren Strohmann?
[ Reuters ] Hubschraub­erpilot Oscar´ Perez:´ ein Aufrührer gegen die Linksdikta­tur oder bloß deren Strohmann?
 ?? [ AFP ] ??
[ AFP ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria