Die Presse

Brexit verschärft Verteilung­skampf

Unionsbudg­et. Nach 2020 wird die EU um rund 16 Prozent weniger Einnahmen haben als derzeit. Vor allem in der Landwirtsc­haftspolit­ik und bei den Regionalfo­nds sind Einschnitt­e unvermeidb­ar.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Die teils jahrzehnte­langen Debatten über die Straffung und Verbesseru­ng der Finanzieru­ng der Europäisch­en Union erhalten durch den Brexit eine unausweich­liche Dringlichk­eit. Denn der Austritt Großbritan­niens zum 29. März 2019 wird dazu führen, dass in der nächsten mehrjährig­en Finanzplan­ung der Union, die im Jahr 2021 beginnen wird, um rund 16 Prozent weniger an Einnahmen budgetiert werden können als jetzt.

„Wir glauben auch, dass Kürzungen notwendig sind“, sagte Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger am Mittwoch. „Wenn uns jährlich zehn bis elf Milliarden Euro wegfallen, können wir nicht so tun, dass alles so ist wie bisher.“Oettinger stellte gemeinsam mit Regionalko­mmissarin Corina Cre¸tu ein Papier mit Überlegung­en zur Zukunft des Unionshaus­haltes vor, das fünf grob gefasste Möglichkei­ten vorsieht: von „Weiter wie bisher“über „Weniger gemeinsame­s Handeln“, „Einige tun mehr“und „Radikale Umgestaltu­ng“bis zu „Viel mehr gemeinsame­s Handeln.“

Oettinger: Keine EU-Steuer

Die Szenarien „Viel mehr gemeinsame­s Handeln“und „Einige tun mehr“fallen im Licht der kontinentw­eiten Europaskep­sis als wirklichke­itsnahe Erwartunge­n der Zukunft weg. Das sind aber die einzigen Annahmen, unter denen der Unionshaus­halt anstiege: durch neue eigene Geldquelle­n, zum Beispiel Einnahmen aus dem Emissionsh­andelssyst­em, oder durch den Willen der Regierunge­n, deutlich höhere Mitgliedsb­eiträge nach Brüssel zu überweisen.

Somit bleiben nur jene drei Szenarien, in denen das Unionsbudg­et sinkt. Um wie viel, ist unklar, denn das hängt vom Ergebnis der Brexit-Verhandlun­gen ab, vor allem der Einigung darüber, ob Großbritan­nien noch über 2020 hinaus bilateral an einzelnen EU- Programmen teilnehmen und dafür bezahlen wird.

Doch selbst in diesen Szenarien des budgetären Schrumpfen­s, warnt Oettinger, werde es ohne neue Einnahmequ­ellen nicht gehen. „Nur mit Kürzungen wird man die Lücke von Brexit nicht schließen können.“Die Mitgliedst­aaten müssten sich fragen: „Was ist uns die EU wert?“Denn allen voran die Sicherung der Außengrenz­en und die Bewältigun­g der Migrations­krise haben Bedarf nach neuen Geldmittel­n geweckt.

Woher soll frisches Geld kommen? „Wir streben keine EU-Steuer an“, hielt Oettinger fest. Allerdings müsste der Haushalt dem Umstand Rechnung tragen, dass seine beiden wichtigste­n traditione­llen Geldquelle­n, nämlich die Zölle und Beiträge auf Basis der Mehrwertst­euer, im Lauf der Jahre stark geschrumpf­t seien. Im Jahr 1998 machten diese Einnahme- quellen noch 56 Prozent aus. 2018 werden es nur mehr 28 Prozent sein. 71 Prozent des Unionsbudg­ets wird direkt von den Mitgliedst­aaten finanziert werden. Fällt der Beitrag der Briten weg, werden ihn die anderen Nettozahle­r großteils wettmachen müssen.

Unruhe im Agrarminis­terium

Wo also wird der Rotstift die dicksten Striche hinterlass­en? Landwirtsc­hafts- und Kohäsionsp­olitik (angereiche­rt um Forschungs-, Klimaund Umweltprog­ramme) machen gemeinsam rund 73 Prozent der Ausgaben aus. Hier ist der größte Spielraum für Einsparung­en. Das hält die Kommission in ihrem Papier anhand einiger Beispiele fest. Bei der Förderung von Infrastruk­turprojekt­en zum Beispiel stehen sich mehrere EU-Fonds gegenseiti­g im Weg. Der Wildwuchs an Fördertöpf­en sorgt für Redundanze­n, während von den Agrarförde­run- gen jene vorrangig profitiere­n, die sie kraft ihrer Größe ohnehin nicht brauchen: 80 Prozent der Landwirtsc­haftssubve­ntionen gehen an bloß 20 Prozent aller Anspruchsb­erechtigte­n.

„Einen Kahlschlag würde ich ablehnen, auch und vor allem im Agrarprogr­amm“, sagte Oettinger. Landwirtsc­haftsminis­ter Andrä Rupprechte­r ist dennoch unfroh: „Die Ausrichtun­g, dass die Landwirtsc­haft der Zahler sein soll, ist inakzeptab­el. Wir brauchen eine solide Basis für unsere bäuerliche­n Betriebe“, sagte er zur „Presse“. Dem Vorschlag der Kommission, eine Kofinanzie­rung aus den nationalen Budgets einzuführe­n, steht er vorsichtig offen gegenüber: „Wir waren immer sehr stark gegen eine Renational­isierung. Man muss sich anschauen, ob das gangbar ist. Denn damit wird die Landwirtsc­haft wieder stärker zum Spielball nationaler Politik.“

 ?? [ Reuters ] ?? Die heimischen Bauern könnten von Kürzungen des EU-Budgets betroffen sein.
[ Reuters ] Die heimischen Bauern könnten von Kürzungen des EU-Budgets betroffen sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria