Grenzstreit im Herzen Europas
Heute gibt ein Schiedsgericht die Entscheidung dazu bekannt, wo genau die See- und Landgrenze zwischen Slowenien und Kroatien verlaufen soll. Eine Verschärfung des Konflikts droht.
Wien. Es ist ein Disput zwischen zwei Nachbarländern, der alle Zutaten für eine mittlere zwischenstaatliche Krise hat: Ungelöste Probleme aus einer gemeinsamen Vergangenheit; Streit um Territorium; das Gefühl des einen, vom anderen mit Herablassung behandelt zu werden. Dazu kommen noch ein dubioser Abhörskandal und Polizeieinätze an der Grenze. Das Erstaunliche an dem Konflikt: Er wird zwischen zwei EU-Mitgliedern im Herzen Europas ausgetragen, und zwar in Österreichs direkter Nachbarschaft. Und er könnte sich nun weiter verschärfen.
Seit ihrer Unabhängigkeit im Juni 1991 streiten Slowenien und Kroatien um den Verlauf ihrer gemeinsamen Grenze. Als beide Länder noch Teilrepubliken innerhalb Jugoslawiens waren, spielte der nicht so eine große Rolle. Nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates wurde aus der ehemaligen Verwaltungsgrenze aber eine Staatsgrenze. Seither gibt es keine Einigung zwischen Zagreb und Ljubljana (Laibach), wem die Gewässer westlich der Bucht von Piran und bestimmte Gebiete entlang der Landgrenze gehören Der Verlauf der Seegrenze ist für Slowenien besonders wichtig. Es möchte Zugang zu internationalen Gewässern erhalten und nicht von kroatischen und italienischen Hoheitsgewässern davon abgesperrt sein. (siehe Grafik).
Heute, Donnerstag, wird ein internationales Schiedsgericht in Den Haag seine Entscheidung ver- künden, mit der der Grenzdisput eigentlich beilegt werden sollte. Doch die kroatische Regierung hat bereits angekündigt, sich nicht an ihn gebunden zu fühlen.
Aus Slowenien kommen deshalb erste indirekte Drohungen mit Gegenmaßnahmen. Kroatien befürchtet intensivere slowenische Grenzkontrollen, was gerade in der beginnenden Urlaubszeit zu langen Staus führen könnte. Zagreb wirft dem nördlichen Nachbarn vor, so die kroatische Tourismuswirtschaft sabotieren zu wollen.
Aufmarsch von Sonderpolizei
In diplomatischen Kreisen ist sogar zu hören, dass Slowenien Spezialeinheiten in das umstrittene Grenzgebiet entsenden könnte, um notfalls so Fakten zu schaffen. Schon in der Vergangenheit wurde von beiden Ländern im Grenzstreit Polizei eingesetzt: Im September 2004 nahmen kroatische Beamte am Fluss Dragonja eine Delegation slowenischer Politiker fest, inklusive des damaligen Umweltministers. Im September 2006 eskalierte der Streit im umstrittenen Gebiet an der Mur. Der damalige slowenische Premier Janez Jansaˇ ließ Spezialpolizisten aufmarschieren. Die Zwischenfälle fielen in eine Zeit, in der Slowenien bereits Mitglied der EU war, Kroatien hingegen noch nicht. Mittlerweile geht es um Drohgebärden an einer EU-Binnengrenze.
Dass Kroatien überhaupt der Europäischen Union beitreten konnte, schien lange keine ausgemachte Sache. Denn das EU-Mitglied Slowenien blockierte die Beitrittsgespräche mit seinem südli- chen Nachbarn – wegen des leidigen Grenzstreites. Und in Kroatien wurde daraufhin wieder das alte Stereotyp von den „überheblichen Slowenen“bemüht, die sich ja schon in Ex-Jugoslawien angeblich als „etwas Besseres“als die südlichen Nachbarn gefühlt hätten.
Ljubljana hob die Blockade des kroatischen Beitrittsprozesses erst auf, nachdem auf Vermittlung der EU auch Zagreb der Einberufung des Schiedsgerichtes zugestimmt hatte. Nun war der Weg frei und Kroatien konnte 2013 der Union beitreten. Das fünfköpfige Schiedsgericht nahm seine Arbeit auf. Drei der Richter wurden von der EU bestimmt, jeweils einer von den beiden Streitparteien.
Abgehörte Telefonate
Im Juli 2015 nahm die Causa eine bizarre Wendung: Kroatische Medien veröffentlichten Mitschnitte eines Telefonats zwischen dem slowenischen Richter des Schiedsgerichtes, Jernej Sekolec, und Simona Drenik vom slowenischen Außenamt. In drei Telefonaten sprach Sekolec mit Drenik unter anderem über die Stimmung im Richterkollegium. Aus Protest darüber zog sich Kroatiens Regierung aus dem Schiedsverfahren zurück.
Slowenien bestellte einen neuen Richter und beharrte darauf, dass das Verfahren fortgeführt werden muss. Zagreb, so hieß es in Ljubljana, sei ausgestiegen, weil es einen ungünstigen Ausgang befürchtet habe. Heute wird das Gericht in Den Haag verkünden, wie dieser Spruch aussieht – und damit für neuen Konfliktstoff sorgen.