Die Perversion eines Sportsystems
Analyse. Der „Garcia-Bericht“zeigt eine fragwürdige Welt der Fifa-Funktionäre, die WM-Vergaben an Russland und Katar sollen korrekt gewesen sein. Jetzt stehen Russlands Fußballer am Pranger.
Dopingberichte oder Dokumente, die den Korruptionsskandal im Fußballweltverband Fifa erklären sollen, wirken auf den ersten Blick bloß wie eine wissenschaftliche Arbeit. Chronologische Anordnung, jeder Punkt wird beleuchtet, der Chefermittler als unbefangen ausgeschildert, mitunter wird sogar seine Unterschrift plakativ auf die erste Seite gedruckt. Der Theorie folgt ein praxisnaher Teil, die in Aussicht gestellte These wird jedoch zumeist nicht bestätigt.
„Heiße Luft“für sehr viel Geld, Russland und Katar entlastend, dafür Franz Beckenbauer mit einem Denkzettel bedacht – unter diese Devise kann man den auf www.fifa.com downloadbaren, zuvor lange von Ethikhütern blockierten „Garcia-Bericht“bringen. Dass den Ermittlern mitunter die Einreise in die WM-Gastgeberländer verweigert worden war, russische Computer zuhauf verschwunden sind, E-Mails nur über getarnte Gmail-Konten verschickt worden sind, diese Details finden sich nicht. Dass der ehemalige FBI-Ermittler Michael Garcia, längst in Unfrieden von seinem Auftraggeber geschieden, jedoch zwei „Whistleblowerinnen“(Bonita Mersiades und Phaedra Al Majid) verunglimpft hat, dokumentiert deutlich den Umgang mit „Verrätern“in der Sportwelt.
Ein Kinderkonto!
430 Seiten umfasst dieser Bericht aus dem Jahr 2014, der von Fifa-Präsident Gianni Infantino nun als Trumpf ausgespielt wird. Denn Russland und Katar fühlen sich durch diese Expertise „bestätigt“, es lief ja quasi alles ganz korrekt . . .
Garcia fand Geldflüsse in Millionenhöhe aus Katar an Mitglieder der Fifa-Exekutive. Eine Überweisung von zwei Millionen Dollar auf das Konto einer zehnjährigen Funktionärstochter (!) ist mehr als auffällig, dass aber eine Sekretärin für die Baufirma ihres Mannes Werbung machte, ist keine Unver- einbarkeit. Verschenkte Luxusreisen sind Usus, Reisen im Privatjet eines Mäzens nach Rio fragwürdig, es gab Geschenke, Ballettbesuche – Garcias Ausführungen lesen sich abenteuerlich, aber sie sind strafrechtlich irrelevant. Ein Detail irritiert: Welche Unterlagen fehlen, um tatsächlich den Kauf der Fußball-WM nachzuweisen, konnten die Ermittler nicht erklären. Es ist somit nicht verwunderlich, dass Katar und Russland Entschuldigungen verlangen. Auch ist ihnen die WM – dank des Berichtes eines Ex-FBI-Chefermittlers – nicht mehr zu nehmen. Und, Infantinos Position ist dadurch nur noch stärker geworden.
Festgehalten wird, dass Franz Beckenbauer wenige Monate nach dem WM-Votum „Botschafter“der Russian Gas Society wurde. Warum sich Garcia detailliert an des „Kaisers“Spuren heftete, ist hinterfragenswert. Das ehemalige Exekutivmitglied war 2014 für 90 Tage „gesperrt“worden, verpasste die WM in Brasilien und wurde auffällig, weil er Garcias Fragen (auf Englisch) nicht beantwortete. Der Ermittler hielt fest, dass er den Katalog sogar übersetzt geschickt hatte. Ebenso steht da, dass nur Fedor Radmann – er war einst Gesicht von Salzburgs Olympiakampagne für 2014 – aussagen wollte. Allerdings nur im Doppel mit Beckenbauer, seinem Freund.
Gedopte Fußballer?
Am Rande des Confed-Cups geriet Russlands Fußball unter Dopingverdacht. Wada-Sonderermittler Richard McLaren ging in einem ARD-Interview davon aus, dass es ein separates Doping-Vertuschungssystem gegeben hat. Der kanadische Rechtsprofessor hatte 2016 den systematischen Austausch positiver Dopingtests russischer Athleten in Sotschi 2014 belegt. McLaren nannte nun erstmals eine Zahl verdächtiger Fußballerproben, die als Teil einer „Vertuschung“identifiziert wurden: 155. Sie wurden beschlagnahmt – und jetzt wartet die Sportwelt auf die nächste wissenschaftliche Arbeit.