„Hand anlegen statt Hand aufhalten“
Reportage. Weniger Staat, weniger Steuern, mehr Eigentum, mehr Merkel: Wirtschaftsminister Harald Mahrer will einen „dramatischen Kurswechsel“. Auch, um die eigene Basis abzusichern.
Berlin. Der Moderator hört mitten im Satz zu reden auf. Techniker rennen auf die Bühne. Zwei Handgriffe, schon sind die Namensschilder ausgetauscht. Hunderte Manager und Managerinnen stehen von ihren Sitzen auf. Handy raus, Foto machen. Sie ist da. Angela Merkel hat den Raum betreten. Willkommen bei der jährlichen Tagung des Wirtschaftsrats der CDU. Willkommen in Berlin – und im deutschen Wahlkampf.
Es ist wie bei einem Rockkonzert. Nur die Musik kommt erst zum Schluss – in Form der deutschen Bundeshymne, geschmettert von einem Tenor. Der eigentliche Headliner ist aber die Kanzlerin. Grünes Jackett, schwarze Hose. Eine politische Ansage ist es nicht. Merkel scheint schon jetzt, drei Monate vor der Wahl, auf dem Zenit ihrer Macht zu stehen. Ihre Umfragen sind so gut wie die deutschen Wirtschaftsdaten.
Mahrers Hauptmenü
Handys weg, hinsetzen. Angela Merkel legt los: „Wir haben die ganze Legislaturperiode ohne neue Schulden geschafft.“Applaus im Saal. „Wir haben begrenzten Raum für Steuerentlastung.“Tosender Beifall. „Mit uns wird es keine neuen Versuche für eine Vermögensteuer geben – oder für eine Vermögensteuer, die wir für das komplett fasche Signal halten.“Standing Ovations, minutenlang.
Auch Harald Mahrer würde wohl Merkel wählen. Der Wirtschaftsminister hat kurz vor der Kanzlerin gesprochen. Als unbekannte Vorband quasi. Mahrer versucht gar nicht zu verbergen, wie sehr es ihm schmeichelt, in Berlin zu sprechen. Vor deutschen Topmanagern von Siemens, RWE, Amazon oder Cisco.
Vor einem österreichischen Manager, der in Deutschland bekannter ist als die meisten österreichischen Politiker: Paul Achleitner. Der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank wird später auch von Merkel namentlich genannt. Anders als Merkel hält Mahrer allerdings keine Wahlkampfrede. Das ÖVP-Programm ist ohnehin noch nicht fertig. Stattdessen redet er über sein Lieblingsthema: die gewaltige Zukunft.
Amazon, Microsoft, Google, Internet, Handys, die gesamte digitale Revolution der vergangenen zwei Jahrzehnte sei nur der „Gruß aus der Küche“gewesen, sagt Mahrer: „Das achtgängige Hauptmenü folgt erst noch. Was da kommt, ist dramatisch“, sagt Mahrer. Aber Europa sei noch immer nicht fit für Quantensprünge, wie sie etwa die vollends personalisierte Medizin oder die Blockchain-Technologie bringen kann. „Unser Hauptkonkurrent sind nicht mehr die USA, sondern Asien. Die Asiaten sind erfolgshungrig, wir sind saturiert.“Außerdem hätten China und andere asiatische Länder viel weniger Regulierungen. „Wir debattieren über die vorgeschriebene Höhe von Steckdosen in der Wand. Das kann es nicht sein“, sagt Mahrer. Dann noch dieser Satz: „Wir müssen das Geld erstmal verdienen, bevor wir es verteilen können.“Das gab Applaus von den konservativen deutschen Managern im Saal.
Rückbesinnung aufs Eigentum
Das war auch der Tenor von Mahrers Pressekonferenz im Tandem mit dem CDU-Staatssekretär im Finanzministerium, Jens Spahn, am Rande der Tagung. Mahrer hat auch sein neues Buch mitgebracht: „Mehr Mitte, bitte!“. Und es gab dann schon einen ersten Einblick in die Richtung der Wirtschaftspolitik der Kurz-ÖVP.
Steuersenkungen, Entbürokratisierung, weniger Staat, mehr Merkel: Es wird wieder dramatisch. „Wir brauchen dramatisch weniger Regulierung“, sagt Mahrer: „Der Vorschriftswahn muss massiv hinterfragt werden. Wir brauchen mehr Freiheit. Einen dramatischen wirtschaftspolitischen Wandel.“
Aber da endet die Dramatik trotz der Rhetorik ein bisschen. Mahrer sagt, der Jugend müsse es wieder möglich gemacht werden, Eigentum anzuschaffen. Aber personalisierte Medizin oder die Blockchain-Technologie wird da keine akute Hilfe leisten können. Die Rückbesinnung aufs Eigentum ist auch keine dramatische Ansage, sondern eine simple ökonomische Einsicht: „Eigentum ist nicht schlecht, sondern eine Lösung“, sagt Mahrer. Aber Lösung wofür?
Kollege Spahn, der in der CDU als Personalreserve gilt, hilft aus: „Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie die ÖVP in Österreich.“Die bürgerlichen Schwesterparteien scheinen im Auge zu haben, die eigene Wählerbasis auf Dauer abzusichern. Das ist diese mythische Mitte. „Die Gesellschaft ist bürgerlicher denn je“, sagt Spahn: „90 Prozent sagen, dass sie ihre Kinder genauso erziehen wollen, wie sie selbst erzogen wurden.“Aber ohne Eigenheim wird das eher nichts. „Darum ist die Eigentumsbildung so wichtig.“