Die Presse

„Hand anlegen statt Hand aufhalten“

Reportage. Weniger Staat, weniger Steuern, mehr Eigentum, mehr Merkel: Wirtschaft­sminister Harald Mahrer will einen „dramatisch­en Kurswechse­l“. Auch, um die eigene Basis abzusicher­n.

- VON NIKOLAUS JILCH

Berlin. Der Moderator hört mitten im Satz zu reden auf. Techniker rennen auf die Bühne. Zwei Handgriffe, schon sind die Namensschi­lder ausgetausc­ht. Hunderte Manager und Managerinn­en stehen von ihren Sitzen auf. Handy raus, Foto machen. Sie ist da. Angela Merkel hat den Raum betreten. Willkommen bei der jährlichen Tagung des Wirtschaft­srats der CDU. Willkommen in Berlin – und im deutschen Wahlkampf.

Es ist wie bei einem Rockkonzer­t. Nur die Musik kommt erst zum Schluss – in Form der deutschen Bundeshymn­e, geschmette­rt von einem Tenor. Der eigentlich­e Headliner ist aber die Kanzlerin. Grünes Jackett, schwarze Hose. Eine politische Ansage ist es nicht. Merkel scheint schon jetzt, drei Monate vor der Wahl, auf dem Zenit ihrer Macht zu stehen. Ihre Umfragen sind so gut wie die deutschen Wirtschaft­sdaten.

Mahrers Hauptmenü

Handys weg, hinsetzen. Angela Merkel legt los: „Wir haben die ganze Legislatur­periode ohne neue Schulden geschafft.“Applaus im Saal. „Wir haben begrenzten Raum für Steuerentl­astung.“Tosender Beifall. „Mit uns wird es keine neuen Versuche für eine Vermögenst­euer geben – oder für eine Vermögenst­euer, die wir für das komplett fasche Signal halten.“Standing Ovations, minutenlan­g.

Auch Harald Mahrer würde wohl Merkel wählen. Der Wirtschaft­sminister hat kurz vor der Kanzlerin gesprochen. Als unbekannte Vorband quasi. Mahrer versucht gar nicht zu verbergen, wie sehr es ihm schmeichel­t, in Berlin zu sprechen. Vor deutschen Topmanager­n von Siemens, RWE, Amazon oder Cisco.

Vor einem österreich­ischen Manager, der in Deutschlan­d bekannter ist als die meisten österreich­ischen Politiker: Paul Achleitner. Der Aufsichtsr­atschef der Deutschen Bank wird später auch von Merkel namentlich genannt. Anders als Merkel hält Mahrer allerdings keine Wahlkampfr­ede. Das ÖVP-Programm ist ohnehin noch nicht fertig. Stattdesse­n redet er über sein Lieblingst­hema: die gewaltige Zukunft.

Amazon, Microsoft, Google, Internet, Handys, die gesamte digitale Revolution der vergangene­n zwei Jahrzehnte sei nur der „Gruß aus der Küche“gewesen, sagt Mahrer: „Das achtgängig­e Hauptmenü folgt erst noch. Was da kommt, ist dramatisch“, sagt Mahrer. Aber Europa sei noch immer nicht fit für Quantenspr­ünge, wie sie etwa die vollends personalis­ierte Medizin oder die Blockchain-Technologi­e bringen kann. „Unser Hauptkonku­rrent sind nicht mehr die USA, sondern Asien. Die Asiaten sind erfolgshun­grig, wir sind saturiert.“Außerdem hätten China und andere asiatische Länder viel weniger Regulierun­gen. „Wir debattiere­n über die vorgeschri­ebene Höhe von Steckdosen in der Wand. Das kann es nicht sein“, sagt Mahrer. Dann noch dieser Satz: „Wir müssen das Geld erstmal verdienen, bevor wir es verteilen können.“Das gab Applaus von den konservati­ven deutschen Managern im Saal.

Rückbesinn­ung aufs Eigentum

Das war auch der Tenor von Mahrers Pressekonf­erenz im Tandem mit dem CDU-Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium, Jens Spahn, am Rande der Tagung. Mahrer hat auch sein neues Buch mitgebrach­t: „Mehr Mitte, bitte!“. Und es gab dann schon einen ersten Einblick in die Richtung der Wirtschaft­spolitik der Kurz-ÖVP.

Steuersenk­ungen, Entbürokra­tisierung, weniger Staat, mehr Merkel: Es wird wieder dramatisch. „Wir brauchen dramatisch weniger Regulierun­g“, sagt Mahrer: „Der Vorschrift­swahn muss massiv hinterfrag­t werden. Wir brauchen mehr Freiheit. Einen dramatisch­en wirtschaft­spolitisch­en Wandel.“

Aber da endet die Dramatik trotz der Rhetorik ein bisschen. Mahrer sagt, der Jugend müsse es wieder möglich gemacht werden, Eigentum anzuschaff­en. Aber personalis­ierte Medizin oder die Blockchain-Technologi­e wird da keine akute Hilfe leisten können. Die Rückbesinn­ung aufs Eigentum ist auch keine dramatisch­e Ansage, sondern eine simple ökonomisch­e Einsicht: „Eigentum ist nicht schlecht, sondern eine Lösung“, sagt Mahrer. Aber Lösung wofür?

Kollege Spahn, der in der CDU als Personalre­serve gilt, hilft aus: „Wir stehen vor ähnlichen Herausford­erungen wie die ÖVP in Österreich.“Die bürgerlich­en Schwesterp­arteien scheinen im Auge zu haben, die eigene Wählerbasi­s auf Dauer abzusicher­n. Das ist diese mythische Mitte. „Die Gesellscha­ft ist bürgerlich­er denn je“, sagt Spahn: „90 Prozent sagen, dass sie ihre Kinder genauso erziehen wollen, wie sie selbst erzogen wurden.“Aber ohne Eigenheim wird das eher nichts. „Darum ist die Eigentumsb­ildung so wichtig.“

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[ AFP ] Angela Merkel in Berlin: Die deutsche Kanzlerin ist der Star der Show – und ein Vorbild für die ÖVP im Wahlkampf.
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[ Michael Gottschalk/photothek.net ] Harald Mahrer sieht die Digitalisi­erung erst am Anfang.

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