Der König wartet auf den Tod
Film. „La mort de Louis XIV“zeichnet die letzten Tage des Absolutisten nach. Verkörpert wird er von Jean-Pierre L´eaud: ein (vorzeitiger) Abgesang auf die Schauspielikone.
Der König ist müde. Wie ein erlauchter Rollmops ruht er auf seinem Diwan, eingewickelt in Samt und Seide. Die glanzlosen Augen bewegen sich nicht. Ein paar adelige Damen machen ihre Aufwartung. Ob Sire ihnen heute Abend nicht Gesellschaft leisten möge? Ausgeschlossen, lautet die Antwort – Ihre Majestät fühlt sich unpässlich. Darf man es dabei belassen? Unmöglich. Der König ruft nach seinem Hut. Ein bisschen dauert es, bis er gebracht wird. Langsam setzt ihn der Regent auf. Ebenso langsam lüpft er ihn zum Zeichen der Anerkennung. Begeisterung wird laut unter den Zeugen dieser hoheitlichen Großtat.
Die Sonne geht unter, doch der Schein muss gewahrt werden – um die Absurdität dieses Szenarios geht es in Albert Serras „La mort de Louis XIV“. Aber das ist nur ein Aspekt dieses außergewöhnlichen Anti-Biopics, das vor einem Jahr in Cannes Premiere feierte und nun auch in Österreich anläuft. Der Katalane Serra gehört zu den radikalsten Exzentrikern des modernen Kunstkinos. Erstes Aufsehen erregte er 2006 mit „Honor de Cavelleria“– einer „Don Quijote“-Adaption: Der Ritter und sein Diener tingeln darin über Feld und Flur, verkörpert von Laien, die nicht wissen, was sie tun. Es folgten eine ähnlich unverbildete Interpretation des christlichen Dreikönigsmythos („El cant dels ocells“) und die bizarre Todesmeditation „Historia` de la meva mort“, in der Casanova als Vertreter der Aufklärung auf den reaktionären Romantiker Dracula trifft. Alle diese Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen UltraNaturalismus, Märchen und Kulturstudie. Keine von ihnen lässt sich kategorisieren.
Mit „La mort de Louis XIV“liefert Serra sein zugänglichstes und gediegenstes Werk. Das liegt vor allem am Setting (eine von mattem Kerzenlicht erhellte Versailles-Attrappe) und an der klassizistischen Ästhetik, die zuweilen an Rembrandt-Gemälde gemahnt – wie schon bei seinem letzten Film drehte Serra digital und ließ das Endresultat auf 35mm ausspielen, was eine eigentümliche visuelle Textur zur Folge hat.
Milde klaustrophob
Auch die Besetzung fällt diesmal konventioneller aus: Die Titelfigur wird von der 73-jährigen Nouvelle-Vague-Legende Jean-Pierre Leaud´ verkörpert. Es ist das erste Mal, dass Serra mit einem „richtigen“Schauspieler zusammenarbeitet; aber wenn man bedenkt, dass Leaud´ vom Philosophen Gilles Deleuze als „professioneller Laiendarsteller“bezeichnet wurde, erscheint die Kollaboration völlig angemessen.
„La mort de Louis XIV“schildert die letzten Tage des Sonnenkönigs – und verzichtet dabei auf Pathos und Dramatik. Stattdessen wird die Banalität des Sterbens hervorgekehrt, das öde Warten auf den Tod: Das Tempo ist gemessen, die Atmosphäre milde klaustrophob. Ludwig und seine Struwwelpeter-Frisur werden im Rollstuhl durch dunkle Gemächer gekarrt, man sieht zu, wie er sich mit Eigelb bekleckert, hört ihn des Nachts nach Wasser schreien – aber nur im Kristallglas, bitte. Langsam lässt sein Verstand nach.
Während sich Serras bisherige Demontagen von Hochkulturikonen mit kaum etwas vergleichen ließen, erinnert „La mort de Louis XIV“ein wenig an Alexander Sokurows Diktatoren-Trilogie über Hitler, Lenin und Hirohito – auch sie begleitet den unschmeichelhaften Alltag überlebensgroßer Machtmenschen. Serra erzählt überdies vom Wandel der Zeit: Ein Quacksalber will dem König ein Wundermittel verhökern, seine Ärzte wimmeln ihn ab. Doch sie tappen selbst im Dunkeln, Ludwig ist nichts weiter als ein Versuchskaninchen: Der Sonnenkönig als Opfer auf dem Altar des Rationalismus.
Und natürlich ist „La mort de Louis XIV“auch ein vorzeitiger Abgesang auf die Kinoikone Leaud.´ Dieser gibt sich hier jede Blöße, lässt sich waschen und füttern, röchelt und zuckt mit den Wangen – aber alleine schon kraft des Umstands, dass er Leaud´ ist, verleiht er dem siechen Monarchen eine stille Würde, die ihresgleichen sucht.