Die Presse

Der König wartet auf den Tod

Film. „La mort de Louis XIV“zeichnet die letzten Tage des Absolutist­en nach. Verkörpert wird er von Jean-Pierre L´eaud: ein (vorzeitige­r) Abgesang auf die Schauspiel­ikone.

- VON ANDREY ARNOLD

Der König ist müde. Wie ein erlauchter Rollmops ruht er auf seinem Diwan, eingewicke­lt in Samt und Seide. Die glanzlosen Augen bewegen sich nicht. Ein paar adelige Damen machen ihre Aufwartung. Ob Sire ihnen heute Abend nicht Gesellscha­ft leisten möge? Ausgeschlo­ssen, lautet die Antwort – Ihre Majestät fühlt sich unpässlich. Darf man es dabei belassen? Unmöglich. Der König ruft nach seinem Hut. Ein bisschen dauert es, bis er gebracht wird. Langsam setzt ihn der Regent auf. Ebenso langsam lüpft er ihn zum Zeichen der Anerkennun­g. Begeisteru­ng wird laut unter den Zeugen dieser hoheitlich­en Großtat.

Die Sonne geht unter, doch der Schein muss gewahrt werden – um die Absurdität dieses Szenarios geht es in Albert Serras „La mort de Louis XIV“. Aber das ist nur ein Aspekt dieses außergewöh­nlichen Anti-Biopics, das vor einem Jahr in Cannes Premiere feierte und nun auch in Österreich anläuft. Der Katalane Serra gehört zu den radikalste­n Exzentrike­rn des modernen Kunstkinos. Erstes Aufsehen erregte er 2006 mit „Honor de Cavelleria“– einer „Don Quijote“-Adaption: Der Ritter und sein Diener tingeln darin über Feld und Flur, verkörpert von Laien, die nicht wissen, was sie tun. Es folgten eine ähnlich unverbilde­te Interpreta­tion des christlich­en Dreikönigs­mythos („El cant dels ocells“) und die bizarre Todesmedit­ation „Historia` de la meva mort“, in der Casanova als Vertreter der Aufklärung auf den reaktionär­en Romantiker Dracula trifft. Alle diese Arbeiten bewegen sich im Spannungsf­eld zwischen UltraNatur­alismus, Märchen und Kulturstud­ie. Keine von ihnen lässt sich kategorisi­eren.

Mit „La mort de Louis XIV“liefert Serra sein zugänglich­stes und gediegenst­es Werk. Das liegt vor allem am Setting (eine von mattem Kerzenlich­t erhellte Versailles-Attrappe) und an der klassizist­ischen Ästhetik, die zuweilen an Rembrandt-Gemälde gemahnt – wie schon bei seinem letzten Film drehte Serra digital und ließ das Endresulta­t auf 35mm ausspielen, was eine eigentümli­che visuelle Textur zur Folge hat.

Milde klaustroph­ob

Auch die Besetzung fällt diesmal konvention­eller aus: Die Titelfigur wird von der 73-jährigen Nouvelle-Vague-Legende Jean-Pierre Leaud´ verkörpert. Es ist das erste Mal, dass Serra mit einem „richtigen“Schauspiel­er zusammenar­beitet; aber wenn man bedenkt, dass Leaud´ vom Philosophe­n Gilles Deleuze als „profession­eller Laiendarst­eller“bezeichnet wurde, erscheint die Kollaborat­ion völlig angemessen.

„La mort de Louis XIV“schildert die letzten Tage des Sonnenköni­gs – und verzichtet dabei auf Pathos und Dramatik. Stattdesse­n wird die Banalität des Sterbens hervorgeke­hrt, das öde Warten auf den Tod: Das Tempo ist gemessen, die Atmosphäre milde klaustroph­ob. Ludwig und seine Struwwelpe­ter-Frisur werden im Rollstuhl durch dunkle Gemächer gekarrt, man sieht zu, wie er sich mit Eigelb bekleckert, hört ihn des Nachts nach Wasser schreien – aber nur im Kristallgl­as, bitte. Langsam lässt sein Verstand nach.

Während sich Serras bisherige Demontagen von Hochkultur­ikonen mit kaum etwas vergleiche­n ließen, erinnert „La mort de Louis XIV“ein wenig an Alexander Sokurows Diktatoren-Trilogie über Hitler, Lenin und Hirohito – auch sie begleitet den unschmeich­elhaften Alltag überlebens­großer Machtmensc­hen. Serra erzählt überdies vom Wandel der Zeit: Ein Quacksalbe­r will dem König ein Wundermitt­el verhökern, seine Ärzte wimmeln ihn ab. Doch sie tappen selbst im Dunkeln, Ludwig ist nichts weiter als ein Versuchska­ninchen: Der Sonnenköni­g als Opfer auf dem Altar des Rationalis­mus.

Und natürlich ist „La mort de Louis XIV“auch ein vorzeitige­r Abgesang auf die Kinoikone Leaud.´ Dieser gibt sich hier jede Blöße, lässt sich waschen und füttern, röchelt und zuckt mit den Wangen – aber alleine schon kraft des Umstands, dass er Leaud´ ist, verleiht er dem siechen Monarchen eine stille Würde, die ihresgleic­hen sucht.

 ?? [ Filmgarten ] ?? Jean-Pierre Leaud´ als Ludwig der XIV. gibt sich in Albert Serras außergewöh­nlichem Film jede Blöße.
[ Filmgarten ] Jean-Pierre Leaud´ als Ludwig der XIV. gibt sich in Albert Serras außergewöh­nlichem Film jede Blöße.

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