Die Presse

Festspiele Stockerau: Lumpazi steckt auch in den Tüchtigen

Ein grelles, aber vergnüglic­hes Spiel, in dem nicht alles zusammen passt.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Sie sollte einen Rouletteti­sch repräsenti­eren. Tatsächlic­h wirkt die Bühne – auf grünem Grund sind Linien gezogen – eher wie ein Turnsaal. So oder so ist die Anordnung klar: Oben auf einer Galerie agieren die Feen/Götter/Zauberer, unten ihre Spieler, die meinen, einen freien Willen zu haben und dabei doch nur Figuren sind in einem höheren Experiment.

Oder sind die Menschen für ihr Tun doch selbst verantwort­lich? Das ist einer der Punkte, in dem sich die Stockeraue­r Version von Nestroys „Lumpazivag­abundus“nicht ganz klar zu werden scheint. In der Inszenieru­ng von Intendant Zeno Stanek ist die Versuchsan­ordnung stringent: Die Götter, deformiert­e Wesen in transparen­t schimmernd­en Jumpsuits, kontrollie­ren die Welt und schlüpfen selbst in alle Rollen, die den drei Gesellen Leim, Knieriem und Zwirn in ihrem „Abenteuer Reichtum“begegnen. Am Ende wird diese Anordnung aber komplett verworfen und auf inhaltlich­er Ebene doch sehr moralisch an die Menschen appelliert: In seinem Weltunterg­angscouple­t singt Knieriem (Christian Strasser als brachialer Saufbold) vom Klima, das wandelt „als ob’s bsoffen wär“, vom Untergang der Handschrif­t und des Bargelds – und von österreich­ischer Innenpolit­ik: Auf „die Welt steht nicht mehr lang“reimt sich halt so gut „Urnengang“. . .

Der böse Geist trägt High Heels

Ansonsten wird hier ein grelles, aber kurzweilig­es und durchaus vergnüglic­hes Schauspiel voller ausschweif­ender Übertreibu­ng geboten. Lumpazivag­abundus ist ein geschlecht­erfluides Wesen in Zylinder und High Heels, die Welt voller Karikature­n mit bizarren Frisuren. Joesi Prokopetz gibt zwischen erhaben und grantelnd oszilliere­nd den Feenkönig, Wirten und Tischlerme­ister. Der großmäulig­e Zwirn (Martin Bermoser) hopst herum wie eine zugekokste Heuschreck­e.

Und Leim (Tobias Eiselt), der einzige „gute“Mensch, der den Verlockung­en des bösen Geists widersteht, ist so gut gar nicht: Zwar sesshaft und fleißig, ist er doch ein aufgeblase­ner, selbstherr­licher Kerl, der „seine“Peppi herumkomma­ndiert. Hierin liegt dann auch die Moral des Stockeraue­r „Lumpazi“: Dass fanatische Tüchtigkei­t genauso liederlich sein kann wie Gesaufe und Vagabunden­tum. Oder, um zum Spiel zurückzuko­mmen: Der böse Geist gewinnt immer.

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