Festspiele Stockerau: Lumpazi steckt auch in den Tüchtigen
Ein grelles, aber vergnügliches Spiel, in dem nicht alles zusammen passt.
Sie sollte einen Roulettetisch repräsentieren. Tatsächlich wirkt die Bühne – auf grünem Grund sind Linien gezogen – eher wie ein Turnsaal. So oder so ist die Anordnung klar: Oben auf einer Galerie agieren die Feen/Götter/Zauberer, unten ihre Spieler, die meinen, einen freien Willen zu haben und dabei doch nur Figuren sind in einem höheren Experiment.
Oder sind die Menschen für ihr Tun doch selbst verantwortlich? Das ist einer der Punkte, in dem sich die Stockerauer Version von Nestroys „Lumpazivagabundus“nicht ganz klar zu werden scheint. In der Inszenierung von Intendant Zeno Stanek ist die Versuchsanordnung stringent: Die Götter, deformierte Wesen in transparent schimmernden Jumpsuits, kontrollieren die Welt und schlüpfen selbst in alle Rollen, die den drei Gesellen Leim, Knieriem und Zwirn in ihrem „Abenteuer Reichtum“begegnen. Am Ende wird diese Anordnung aber komplett verworfen und auf inhaltlicher Ebene doch sehr moralisch an die Menschen appelliert: In seinem Weltuntergangscouplet singt Knieriem (Christian Strasser als brachialer Saufbold) vom Klima, das wandelt „als ob’s bsoffen wär“, vom Untergang der Handschrift und des Bargelds – und von österreichischer Innenpolitik: Auf „die Welt steht nicht mehr lang“reimt sich halt so gut „Urnengang“. . .
Der böse Geist trägt High Heels
Ansonsten wird hier ein grelles, aber kurzweiliges und durchaus vergnügliches Schauspiel voller ausschweifender Übertreibung geboten. Lumpazivagabundus ist ein geschlechterfluides Wesen in Zylinder und High Heels, die Welt voller Karikaturen mit bizarren Frisuren. Joesi Prokopetz gibt zwischen erhaben und grantelnd oszillierend den Feenkönig, Wirten und Tischlermeister. Der großmäulige Zwirn (Martin Bermoser) hopst herum wie eine zugekokste Heuschrecke.
Und Leim (Tobias Eiselt), der einzige „gute“Mensch, der den Verlockungen des bösen Geists widersteht, ist so gut gar nicht: Zwar sesshaft und fleißig, ist er doch ein aufgeblasener, selbstherrlicher Kerl, der „seine“Peppi herumkommandiert. Hierin liegt dann auch die Moral des Stockerauer „Lumpazi“: Dass fanatische Tüchtigkeit genauso liederlich sein kann wie Gesaufe und Vagabundentum. Oder, um zum Spiel zurückzukommen: Der böse Geist gewinnt immer.