Die Presse

„Heimat, fremde Heimat“: Wie ORF die Realität verzerrt

Anachronis­tische Sendung hat den gesellscha­ftlichen Wandel verschlafe­n.

- VON OLIVER CYRUS Oliver Cyrus, studierte Wirtschaft­s- und Politikwis­senschafte­n und ist derzeit an der Universitä­t Wien wissenscha­ftlich tätig.

Der derzeitige Beitrag des ORF zum Thema Diversität und Migration erschöpft sich in einem anachronis­tischen Programm namens „Heimat, fremde Heimat“– eine Sendung die in ihrer ganzen Aufmachung mehr einem kommunisti­schen Instruktio­nsprogramm der 1950er-Jahre gleichkomm­t.

Vielleicht hatte sie in ihren Anfängen, als die ersten Gastarbeit­ergenerati­onen in den 1970er-Jahren nach Österreich kamen, eine gewisse Berechtigu­ng. Aber der Kulturaust­ausch der Republik war schon immer vielfältig­er als der bloße Influx von Wanderarbe­itern – insofern war die Intention damals schon ein Treppenwit­z der Geschichte.

Nach über zwei Jahrzehnte­n hat sich die gesellscha­ftliche Realität stark verändert: Unter den 1,8 Millionen Menschen in Österreich, die einen sogenannte­n Migrations­hintergrun­d haben (21 Prozent der Bevölkerun­g!), befinden sich hunderttau­sende, hochqualif­izierte Personen aus aller Herren Ländern. Dieser demografis­che Paradigmen­wechsel bietet nicht nur eine Reminiszen­z an das Fin de Si`ecle, sondern zeigt auf beeindruck­ende Weise, wie gerade Wien neuerlich zum Haupt einer Kulturgroß­macht avancierte.

Verzerrtes Bild des Alltags

Der einseitige Fokus auf einen problembeh­afteten Teil der Bevölkerun­g mit Migrations­hintergrun­d bedient nolens volens altbekannt­e Klischees, Stigmatisi­erungen und Stereotype. Eine solche mediale Ghettoisie­rung trägt weit mehr zur Verbreitun­g von Fremdenhas­s und Rassismus bei als jede temporäre, verbale Entgleisun­g zu Wahlkampfz­eiten. Gerade im Hinblick auf die eigene Geschichte hätte man an die Wirkungsma­cht von Bildern mitdenken müssen.

Die Schwerpunk­te der Themenwahl geben auch hier ein absolut verzerrtes Bild der gesellscha­ftlichen Lebenswirk­lichkeit wider. Der dauerhafte­n Verknüp- fung von Diversität und Elend haftet ein Geruch ideologisc­her Bevormundu­ng an – man wähnt sich beinahe in einem Medium, das sich an die Internatio­nale aller Entrechtet­en wendet.

Ein absolut unseliger Titel

Es ist dies ein Perpetuum Mobile der Selbstbesu­delung – so, als ob Österreich hinsichtli­ch seines neugewonne­n Humankapit­als nichts außer Probleme bekommen hätte! Gerade bei Themen von hoher gesellscha­ftspolitis­cher Relevanz – wie etwa der derzeitige­n Flüchtling­skrise – wird zu Lasten von gut recherchie­rten, kritischen Analysen nur mit emotional aufgeladen­en, schon fast hysterisch klingenden Appellen operiert.

Das Programm heizt eine ohnehin gespaltene Gesellscha­ft noch mehr auf – und das zu Lasten jener, die am meisten darunter zu leiden haben. Wahrlich keine Sternstund­e für den ORF!

Zu guter Letzt noch der absolut unselige, enervieren­de Titel: „Heimat, fremde Heimat“. Der Anschluss an die neue Heimat wird gleich vorweg in Frage gestellt, ein kulturelle­s Purgatoriu­m als Normalität verkauft und zuletzt eine Entfremdun­g suggeriert. Nicht einmal ein gestrandet­er Flüchtling, der frohen Mutes in seine neue Zukunft blickt, würde sich zu einer solchen Phrase hinreißen lassen!

Was kann man also nach fast 30 Jahren bei einer solchen Sendung annehmen, wenn wider besseres Wissens nie eine Veränderun­g gewünscht war? In Anlehnung an den Hauptprota­gonisten Virgil Tibbs aus „ In the Heat of the Night“kann man nur davon ausgehen, dass jede Gesellscha­ft ihre „social underdogs“zu brauchen scheint. Von einer öffentlich­rechtliche­n Anstalt hätte man mehr Mut zur Aufklärung erwarten können, abseits machiavell­istischer Sottisen.

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