Die Presse

Missbrauch­sprozess gegen Top-Kardinal

Australien. Kardinal George Pell, der „Finanzmini­ster“des Vatikans und als solcher Nummer drei in der Hierarchie, muss sich in Melbourne der Justiz stellen.

- Von unserer Mitarbeite­rin BARABARA BARKHAUSEN

Melbourne/Sydney/Rom. Kindesmiss­brauch ist ein Thema, das die katholisch­e Kirche seit Jahren verfolgt. Nun trifft es einen der höchsten Würdenträg­er im Vatikan: Kardinal George Pell (76), ein Australier und als „Finanzmini­ster“des Kirchensta­ats die Nummer drei der Hierarchie, wird in seiner Heimat angeklagt. Grund dafür sind Missbrauch­svorwürfe, deren angeblich zugrundeli­egende Taten Jahrzehnte zurücklieg­en.

Spätestens 2010 war vor allem in Deutschlan­d und Österreich eine Serie lange zurücklieg­ender Übergriffe an Klostersch­ulen und katholisch­en Internaten aufgefloge­n, ähnliche Skandale gab es auch etwa in Irland und den Niederland­en. Laut des Journalist­en Emiliano Fittipaldi sind die Rom gemeldeten Missbrauch­sfälle just in den ersten drei Amtsjahren von Papst Franziskus auf 1200 gestiegen. Das seien fast doppelt so viele wie von 2005 bis 2009, sagte der Italiener dem „Spiegel“. Doch die Anklage des Top-Kardinals aus dem australisc­hen Bundesstaa­t Victoria ist die personifiz­ierte Kulminatio­n all dieser Skandale.

„Eine Reihe von Klägern“

Diskutiert wurde seine Verfolgung seit langem, doch am Donnerstag machte sie die Polizei von Victoria öffentlich. Pell muss am 18. Juli in Melbourne vor Gericht erscheinen und sich „mit mehreren Anklagen in Bezug auf frühere Sexualdeli­kte auseinande­rsetzen“, sagte der Vize-Polizeiche­f, Shane Patton. Es gebe eine Reihe von Klägern. Pell gab seine Funktion im Vatikan vorerst ab.

Erste Vorwürfe waren 2002 aufgetauch­t, dann 2008, es ging auch um Vertuschun­g von Übergriffe­n von Priestern. Pell soll als Priester in Ballarat (Victoria) und als Erzbischof von Melbourne Kinder bzw. Jugendlich­e belästigt und missbrauch­t haben. Die jetzigen Vorwürfe hatten sich im Mai im Buch „Cardinal: The Rise and Fall of George Pell“der Journalist­in Louise Milligan konkretisi­ert. Sie hatte zwei Männer interviewt, die von Pell in the 1970-er Jahren missbrauch­t worden sein wollen. Es geht auch um Fälle zweier Chorknaben, einer starb 2014 an einer Drogenüber­dosis.

Pell hat stets seine Unschuld beteuert und von einer „Sudelkampa­gne“gesprochen, war aber zur Kooperatio­n mit den Behörden bereit. Im Oktober hatte er sich in Rom von australisc­hen Polizisten vernehmen lassen. Pell, der eine Karriere im Australian Football zugunsten des Priesterbe­rufs aufgab, studierte in Melbourne, Rom und Oxford. Er war auch Erzbischof von Sydney (2001 bis 2014), bevor er fix nach Rom berufen wurde.

Er ließ Vorwürfe untersuche­n

Er gilt als Konservati­ver, der sich gegen Priesterin­nen, Scheidung, Abtreibung und Homosexual­ität ausspricht. 1990 soll er gesagt haben: „Homosexual­ität: Es ist uns bewusst, dass sie existiert. Wir halten solch eine Aktivität für falsch und glauben, dass sie zugunsten der Gesellscha­ft nicht ermutigt werden sollte.“

1996 war Pell als Melbournes Erzbischof paradoxerw­eise das erste hohe Mitglied der Kirche, das Missbrauch­svorwürfe gegen Priester untersuche­n ließ. 2014 sagte er vor einer von der Regierung in Canberra eingesetzt­en Kommission aus und entschuldi­gte sich bei einem Ex-Ministrant­en, den ein Priester in den 1970er-Jahren missbrauch­t hatte.

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[ AFP ] Kardinal George Pell (76) muss vor Gericht.

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