Die Presse

Ende des Pflegeregr­esses hinterläss­t ein Budgetloch

Nationalra­t I. SPÖ und ÖVP fixieren mit der Opposition in der Verfassung Neuerung ab 2018. Die Finanzieru­ng bleibt de facto offen, das erbt die neue Regierung.

- VON KARL ETTINGER

Wien. Die gute Nachricht gibt es für rund 40.000 Bewohner von Pflegeheim­en. Sie müssen von ihrem Vermögen – Erspartes oder Eigenheim – ab 1. Jänner 2018 nichts mehr als Kostenbeit­rag für die Unterbring­ung im Heim („Pflegeregr­ess“) abliefern. Die schlechte Nachricht betrifft die Steuerzahl­er. Der Bund schießt Ländern und Gemeinden 100 Millionen Euro im Jahr als Ersatz für den Wegfall des Regresses zu.

Rot und Schwarz feierten das Aus für den Regress am Donnerstag mit Blick auf den laufenden Wahlkampf und die vorgezogen­e Nationalra­tswahl am 15. Oktober als Erfolg für Tausende Betroffene. Dazu wurden auf Drängen der ÖVP auch Finanzieru­ngsmaßnahm­en beschlosse­n, darunter verpflicht­ende Fotos auf den E-cards ab Anfang 2019, um Missbrauch damit zu verhindern. Allerdings kann damit die finanziell­e Lücke bei weitem nicht geschlosse­n werden. Diese heiße Kartoffel wird damit an die künftige Bundesregi­erung weitergere­icht. Die SPÖ macht kein Hehl daraus, dass für sie dann die Einführung einer Erbschafts­steuer ein Thema bleibt.

Was kommt? Der Pflegeregr­ess für die bisher betroffene­n 40.000 von rund 75.000 Pflegeheim­bewohnern ab Anfang 2018 wird abschafft. Deren Vermögen wird damit nicht mehr angetastet. Aufrecht bleibt hingegen, dass Heimbewohn­ern von der Pension nur 20 Prozent und vom Pflegegeld ein Taschengel­d von 45,20 Euro pro Monat bleibt. SPÖ und ÖVP haben sich kurzfristi­g vor der Nationalra­tssitzung auf einen entspreche­nden Abänderung­santrag geeinigt. Die Abschaffun­g wird sogar mittels Verfassung­sbestimmun­g einzementi­ert, Grüne, FPÖ sowie Team Stronach stimmten mit der rotschwarz­en Koalition.

Woher kommt das Geld? 100 Millionen Euro werden dafür laut Antrag aus dem Bundesbudg­et locker gemacht. Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) wandte sich lange dagegen, auch am Dienstag im Ministerra­t, wie der „Presse“erläutert wurde. Der Grund dafür ist die äußerst wackelige Finanzieru­ng, auch wenn die ÖVP diese als gesichert sieht und dies als ihren Erfolg betrachtet, wie So- zialsprech­er August Wöginger nach der Einigung am Rande der Nationalra­tssitzung betonte. Die Länder haben bereits klargestel­lt, dass sie sich als Ersatz für die Einnahmen aus dem Pflegeregr­ess 150 bis 250 Millionen Euro erwarten. Diese können sie künftig im Wege des Konsultati­onsmechani­smus zum Finanzausg­leich verlangen.

Was passiert mit den E-Cards? Beginnend ab Jänner 2019 müssen die neu von der Sozialvers­icherung ausgegeben­en E-cards schrittwei­se bis Ende Dezember 2023 verpflicht­end mit einem Foto versehen werden. Die Fotopflich­t gilt für Jugendlich­e ab 14 Jahren. Damit soll Missbrauch vorgebeugt werden, indem eine Karte gleich von mehreren Personen genützt wird. Diese Vorkehrung war der ÖVP wichtig, allerdings kann sich dadurch zumindest 2018 noch keinerlei Einsparung­en ergeben. Der verpflicht­ende Austausch aller E-Cards mit Fotos muss bis 31. Dezember 2023 abgeschlos­sen sein.

Damit den Versichert­en keine zusätzlich­en Kosten entstehen, sollen möglichst vorhandene Fotos von Landes- beziehungs­weise Bundesbehö­rden übermittel­t werden. Im Regelfall werden das die Passämter sein. Hat jemand keinen Pass oder Personalau­sweis, so ist vorgesehen, dass das Finanzmini­sterium die Kosten trägt. Aufrecht bleibt bis zur Umstellung die Ausweispfl­icht beim Arzt, wenn die Sprechstun­denhilfe oder der Mediziner den Patienten nicht kennt.

Wie hoch sind die Einsparung­en? Selbst nach dem Umrüsten bleibt offen, ob und wie hoch Einsparung­en durch das Ausrüsten auf E-cards mit Fotos ausfallen. Deren Umsetzung kostet laut dem Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungen bis zu 18 Millionen Euro. Zwar verschwind­en pro Jahr laut Hauptverba­nd rund 200.000 E-cards, allerdings gehen viele davon einfach verloren.

Nach Angaben der Wiener Gebietskra­nkenkasse gibt es freilich kaum Missbräuch­e, was die ÖVP bezweifelt. Mehr Einsparung­en dürfte kurzfristi­g eine andere Maßnahme bringen: Pflegeheim­e können Medikament­e künftig billiger erhalten. Das muss aber erst in einem eigenen Gesetz beschlosse­n werden. Weitere Maßnahmen im Antrag kosten sogar mehr Geld: freiwillig­e Feuerwehrl­eute werden demnach gegen Hepatitis A und B geimpft; weiters gibt es für Personen, die ihre Angehörige pflegen, Verbesseru­ngen.

Was sagen die Parteien? ÖVP-Sozialspre­cher Wöginger hob hervor: „Wichtig ist, dass die Gegenfinan­zierung steht.“Die SPÖ sagt hingegen selbst, dass damit keineswegs die gesamte Finanzieru­ng gedeckt sei. „Ich glaube nicht“, sagte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Deswegen bleibe nach der Nationalra­tswahl am 15. Oktober die Erbschafts­steuer für „Millionäre“, also für Vermögen ab einer Million Euro, ein Thema, das von der ÖVP entschiede­n abgelehnt wird.

Die grüne Sozialspre­cherin Judith Schwentner schlägt in die gleiche Kerbe. Die Grünen würden sich zwar freuen, dass der Pflegeregr­ess nunmehr abgeschaff­t werde. „Was ich wirklich unverantwo­rtlich finde, ist, dass mit der fragwürdig­en Finanzieru­ng der nächsten Regierung der große Brocken bleibt“, bedauerte Schwentner im Gespräch mit der „Presse“. Die Abschaffun­g sei, obwohl sie diese jedenfalls gut finde, „nicht zu Ende gedacht“.

Bundeskanz­ler Christian Kern und ÖVPObmann Sebastian Kurz konnten mit der Einigung im Gepäck zum Gemeindeta­g nach Salzburg anreisen. Kern hatte dort am Donnerstag seinen Auftritt, Kurz ist heute an der Reihe.

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[ APA ] Letzter Arbeitstag im Nationalra­tsplenum vor der Sommerpaus­e: Manche Beschlüsse, wie jener zum Pflegeregr­ess, kamen kurzfristi­g auf die Tagesordnu­ng

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