Die Presse

Sie legt sich mit den Großen an

Margrethe Vestager lehrt Google, Apple, Amazon und Gazprom das Fürchten. Die unerschroc­kene Wettbewerb­skommissar­in gilt als unkonventi­onell, ehrgeizig und unbestechl­ich.

- VON WOLFGANG BÖHM

Brüssel/Wien. „Sie will die Dinge wirklich erledigen. Sie wacht in der Früh auf, um es anzupacken, um etwas zu verändern.“Die ehemalige dänische Ministerpr­äsidentin Helle Thornig-Schmidt hat Margrethe Vestager über Jahre in der gemeinsame­n Regierung schätzen gelernt. „Sie kann stur sein“, erinnert sie sich an ihre damalige Wirtschaft­sministeri­n. Diese Sturheit legt die 49-jährige Pastorento­chter auch in ihrer heutigen Position als EU-Wettbewerb­skommissar­in an den Tag. Kein Monat vergeht, in dem Vestager nicht einen der großen internatio­nalen Konzerne zur Fairness zwingt. Nach Apple, Amazon, Starbucks, McDonald’s und Gazprom war diese Woche Google an der Reihe. Sie verdonnert­e den US-Internetko­nzern zu 2,4 Mrd. Euro wegen unerlaubte­r Ausnutzung seiner dominanten Marktmacht.

Die dänische Politikeri­n, die seit 2014 einen der wichtigste­n Posten in Brüssel bekleidet, ist furchtlos und abgeklärt. Vor allem aber unbestechl­ich. Vestager, so heißt es in der Kommission, sei auf ihre besondere Art unkonventi­onell und verlässlic­h – fast so wie ihre schlichten dänischen Möbel, mit denen sie ihr Büro im zehnten Stock des Berlaymont-Gebäudes ausgestatt­et hat.

Der Fall Google ist typisch für den Ansatz der Wirtschaft­sexpertin: Ihr Vorgänger, Joaqu´ın Almunia, hätte das schwierige Strafverfa­hren gerne durch einen Vergleich mit der Unternehme­nsführung vom Tisch gehabt. Vestager aber biss sich fest, ließ Tausende Beweise dafür sammeln, dass die Suchmaschi­ne ihren eigenen Preisvergl­eichsdiens­t bevorzugt und Mitbewerbe­r diskrimini­ert. „Meine Aufgabe ist es sicherzust­ellen, dass Wettbewerb stattfinde­t, im Interesse des Verbrauche­rs“, erinnert die Dänin.

Da mag Amerikas damaliger Finanzmini­ster Jack Lew noch so protestier­en, die Führung von Apple und Google bis heute vor Wut schäumen, Vestager legt sich seit drei Jahren am liebsten mit den ganz Großen an. „Es liege in der Natur der Sache, dass vor allem große und erfolgreic­he Firmen in das Visier der Wettbewerb­shüter geraten“, argumentie­rt sie. Erfolg sei nicht verboten, aber es dürfe kein faules Spiel betrieben werden.

Vorbild für TV-Serie „Borgen“

Klein gegen Groß, das kennt Vestager aus ihren Tagen in der dänischen Innenpolit­ik. Sie war die Vertreteri­n einer kleinen Partei, der soziallibe­ralen Det Radikale Venstre, die ihr Großvater gegründet hatte. Als deren Vorsitzend­e und spätere Ministerin schaffte sie es, weit mehr zu bewegen als ihre Kollegen großer politische­r Gruppen. Ihr eigenwilli­ger Werdegang war Vorbild für die mehrfach ausgezeich­nete Fernsehser­ie „Borgen“, die vom Aufstieg der soziallibe­ralen Politikeri­n Birgitte Nyborg erzählt. Die Parallelen sind augenschei­nlich. Vestager ist wie Nyborg Mutter und versucht, Familie und Politikkar­riere auf einen Nenner zu bringen, beide sind mit einem Lehrer verheirate­t. Bevor „Borgen“gedreht wurde, durfte die Hauptdarst­ellerin, Sidse Babett Knudsen, mehrere Tage ihr reales Vorbild im politische­n Alltag begleiten.

Realität und Serie überschnei­den sich auch in einem weiteren Punkt: Vestager wurde nach Erscheinen von „Borgen“in ähnlicher Weise in moralische Konflikte hineingezo­gen. Schon wenige Tage nach ihrer Ankunft in Brüssel wurde ihr neuer Chef und Förderer, Kommission­spräsident JeanClaude Juncker, mit der LuxLeaksAf­färe schwer belastet. Und die als äußerst integer geltende Wettbewerb­skommissar­in musste Untersuchu­ngen einleiten. Sie legte offen, welche Steuerdeal­s in seiner Amtszeit als Luxemburge­r Premier ausgehande­lt wurden.

Letztlich erledigte Vestager auch das konsequent. Sie prangerte öffentlich­e derartige Steuerdeal­s an und forderte Milliarden­rückzahlun­gen der betroffene­n Konzerne.

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[ AFP ] Margrethe Vestager verkündete diese Woche eine Milliarden­strafe gegen den Internetko­nzern Google.

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