Die Presse

„Wir wurden immer unterboten“

Interview. ÖBB-Chef Matthä fürchtet, dass mehr Wettbewerb zu höheren Ticketprei­sen führt. Er wünscht sich stattdesse­n mehr Einfluss des Staates im Personenve­rkehr.

- VON MATTHIAS AUER UND JAKOB ZIRM

Die Presse: Ihr Vorgänger Christian Kern meinte bei der Einführung des ÖBB-Fernbusang­ebots Hellö, er kannibalis­iere sich lieber selbst, als dass er von anderen kannibalis­iert werde. Sie haben das Projekt nach einem knappen Jahr wieder abgedreht. Warum? Andreas Matthä: Als das Projekt geplant wurde, war es eine richtige und gute Entscheidu­ng zu sagen, wir wollen von diesem wachsenden Markt auch ein Stück haben. Deshalb haben wir Hellö gegründet. Dann mussten wir aber sehen, dass einige Firmen in Deutschlan­d den Markt verlassen haben und die Dominanz des Marktführe­rs (Flixbus, Anm.) noch größer geworden ist. Wir konnten deshalb unseren Businesspl­an nicht durchsetze­n. Wenn wir die Preise gesenkt haben, um die Auslastung zu steigern, wurden wir immer unterboten. Und wir wollten uns nicht vorwerfen lassen, permanent mit öffentlich­em Geld den Wettbewerb zu finanziere­n.

Die Strategie, Marktantei­le hinzuzugew­innen, ist also gefloppt. Im Sinne dessen, dass wir eigene Marktantei­le hinzubekom­men wollten, muss man sagen, dass wir uns zurückgezo­gen haben.

Aber wo war ursprüngli­ch die Logik dahinter, als Bahn parallel zu den eigenen Schienen Busse zu schicken – etwa auf der Strecke Wien–München? Auf manchen Strecken kann man das kritisch sehen. Etwa auf der Strecke Wien–Salzburg. Es gibt aber durchaus Destinatio­nen, bei denen der Bus von Interesse ist. Etwa von Wien nach Zagreb.

Das ist doch ein Armutszeug­nis für die Schiene, wenn von Wien nach Zagreb der Bus besser ist. Auf der Mittelstre­cke sollte die Schiene überlegen sein. Das unterschre­ibe ich hundertmal. Zwischen 600 und 800 Kilometern sind wir normalerwe­ise konkurrenz­los – wenn wir eine gute Infrastruk­tur haben. Richtung Süden haben wir das noch nicht. Da fahren wir auf einer Trasse, die vor 160 Jahren angelegt wurde.

Ist das Problem nicht auch die Zusammenar­beit mit ausländisc­hen Bahnen – etwa in Italien? Die Kooperatio­nen mit den anderen Bahnen sind immer wieder sehr diskussion­sbehaftet, das stimmt. Hier gibt es aber zuletzt auch Verbesseru­ngen – etwa in Richtung Venedig.

Zurück zum Bus: Es scheint, dass die ÖBB generell ein Busproblem haben. Seit sie gegen Private antreten müssen, sanken die Passagierz­ahlen auf 217 Millionen. Auf der Schiene hatten wir 2016 einen Rekord von 244 Millionen Fahrgästen. Im Bus stimmt es, dass unser Marktantei­l gesunken ist und bei 48 Prozent liegt. Durch kleinteili­ge Ausschreib­ungslose verlieren wir Synergien, und kleine, lokale Anbieter gewinnen.

Warum sind die ÖBB nicht gegen kleine Firmen konkurrenz­fähig? Die Kleinen sind vor Ort. Wir müssen jedes Mal mit einem leeren Bus hinfahren. Ich wünsche mir daher größere Ausschreib­ungslose.

Vielleicht sind die Kleinen auch einfach effiziente­r? Nein. Sonst müssten sie ja in anderen Losen, die 100 Kilometer entfernt sind, auch reüssieren. Das passiert aber nicht.

Bei der Schiene wünscht die EU spätestens ab 2023 Ausschreib­ungen. Wie wollen Sie ein Debakel wie beim Bus verhindern? Zunächst muss man mit einem Mythos aufräumen. Das vierte Eisenbahnp­aket legt nicht fest, dass ab 2023 ausgeschri­eben werden muss. Es sind sowohl Direktverg­aben als auch Ausschreib­ungen möglich. Ich plädiere im Regionalve­rkehr dafür, dass die Besteller selbst wählen sollen, wie sie bestellen.

Direktverg­aben werden möglich sein, aber nur in Ausnahmefä­llen. Wie bereiten Sie die ÖBB auf den Wettbewerb vor? Wichtig ist, dass man faire Wettbewerb­sbedingung­en hat. Ist es sinnvoll, wenn Staatsbahn­en in anderen Ländern Töchter gründen und dort konkurrier­en? Da ist mir lieber, wenn es ein klares Regulativ gibt. In Österreich gibt es etwa das Regulativ, dass die Erträge begrenzt. Sollten wir auf bestimmten Strecken zu viel Gewinn machen, wird das wieder eingezogen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie: Der Wettbewerb muss gar nicht kommen, also gibt es keinen Handlungsb­edarf. Als Unternehme­n muss man sich für alles rüsten. Aber wir rüsten uns in erster Linie dafür, unseren Partnern weiter gute Lösungen, volle Transparen­z bei den Kosten und gute Qualität anzubieten. Das schützt am meisten.

In Ländern, die ihre Bahnstreck­en ausschreib­en, sinken die Kosten für die Steuerzahl­er. In Schweden um 13, in Deutschlan­d um 30 Prozent. Warum sollen die Österreich­er mehr zahlen? Die Kosten für den Staat sind gesunken, das stimmt. Umgekehrt sind die Ticketprei­se gestiegen. Wenn wir auf das deutsche Niveau gingen, würde die Monatskart­e zwischen St. Pölten und Wien Meidling statt 129 Euro 292 kosten.

Ist es nicht legitim, dass die Menschen, die die Bahn nutzen, auch dafür bezahlen? Diese Diskussion müssen Sie mit den Verkehrsve­rbünden führen. Die setzen – aus meiner Sicht zu Recht – eher auf niedrige Ticketprei­se, was auch aus ökologisch­en Gründen sinnvoll ist. Aber natürlich steigen dann die Zuschüsse.

Laut Schätzunge­n könnte sich Österreich durch Ausschreib­ungen bis zu 3,5 Mrd. Euro in einem Jahrzehnt sparen. Kann das die ÖBB auch bieten? In Deutschlan­d steigt der Preis inzwischen wieder an. Denn auch die Ausschreib­ungen verursache­n Zusatzkost­en. Und wir sollten nicht glauben, dass dabei irgendein anderes österreich­isches Unternehme­n zum Zug käme. Die Holländer, die Italiener und die Deutschen würden kommen. Das heißt für mich: Österreich­isches Steuergeld geht ins Ausland.

Aber kann die europäisch­e Bahn im 21. Jahrhunder­t wirklich bestehen, wenn sich jeder Staat seine eigene Staatsbahn hält? Es gibt einen Unterschie­d zwischen Güter- und Personenve­rkehr. Im Güterverke­hr ist die öffentlich­e Hand außen vor. Hier haben wir in Österreich 30 Mitbewerbe­r und sind internatio­nal unterwegs. Im Personenve­rkehr ist der Einfluss des Staats zu Recht stark, könnte in meinen Augen sogar noch stärker werden. Ich schließe aber nicht aus, dass es zu mehr internatio­nalen Überschnei­dungen kommen wird. Dass wir etwa nach Venedig fahren. Auch unser Zug von Wien nach München ist gut gebucht. Aber weiter nach Deutschlan­d hineinzufa­hren, zahlt sich nicht aus für uns. Da müsste ich eine komplette Infrastruk­tur aufbauen, Mitarbeite­r einstellen. Ich müsste die Deutsche Bahn kaufen.

 ?? [ Mirjam Reither ] ?? „Wir wollten nicht mit Steuergeld Wettbewerb finanziere­n“, sagt ÖBB-Chef Andreas Matthä über das schnelle Ende des Fernbus-Projekts Hellö.
[ Mirjam Reither ] „Wir wollten nicht mit Steuergeld Wettbewerb finanziere­n“, sagt ÖBB-Chef Andreas Matthä über das schnelle Ende des Fernbus-Projekts Hellö.

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