Auf Geldsuche im Privilegienparadies
Reform. Auf der Suche nach einer Gegenfinanzierung für den Pflegeregress-Verzicht lohnt sich ein Blick in die Sozialversicherungen. Unfassbar, wie man dort Privilegien argumentiert.
Eigentlich sollte man den Vorwahlkampf ja auf die gesamte Legislaturperiode ausdehnen: Erstaunlich, was die Stillstandskoalition in ihrer Vorwahl-Torschlusspanik jetzt innerhalb weniger Tage noch auf die Reihe bekommt. Lauter Dinge, die bisher nicht möglich waren.
Eine Gewerbeordnungsreform beispielsweise. Keine wirklich große, zugegeben, aber immerhin. Oder die Abschaffung des in der praktizierten Form ziemlich ungerechten Pflegeregresses. Bei Letzterem ist die Gegenfinanzierung freilich ziemlich nebulos. Wird wohl im allgemeinen Budget und damit in den Staatsschulden hängen bleiben.
Dabei hätten die Regierungsmitglieder und Parlamentarier auf der Suche nach den fehlenden Pflegeregressmillionen nicht einmal das Parlament verlassen müssen. Dort hat dieser Tage nämlich auch der Rechnungshofausschuss getagt. Hauptthema: die Sozialversicherungen. Der Nationalrat hat die dort diskutierten Rechnungshofberichte, wie die Parlamentskorrespondenz vermeldet, „zur Kenntnis genommen“.
Das ist, wenn die Anmerkung erlaubt ist, ein bisschen wenig. Denn was dort so ans Tageslicht gelangt ist, hätte locker gereicht, um die Pflegregresslücke zu füllen. Vorausgesetzt, man hätte im Sozialversicherungsbereich jemanden gefunden, der die Worte „Privilegienabbau“und „Reform“nicht nur buchstabieren, sondern auch mit Inhalt füllen kann.
Beginnen wir mit dem Pensionsrecht: Dort hat der Rechnungshof 2012 ein langfristiges kumuliertes Einsparungspotenzial von 1,4 Mrd. Euro gefunden. Realisiert wurden von diesem Potenzial bisher 12,6 Prozent, es gibt „trotz mehrerer Reformen noch immer großzügige Zusatzpensionen“. Zumindest für die vor 1996 eingetretenen Mitarbeiter, seither gilt ASVG plus Pensionskasse.
Vor allem aber gebe es weiter starke Anreize für die Frühpensionierung, kritisiert der Rechnungshof. Und das geht so: Ein Sozialversicherungsmitarbeiter, der etwa mit 62 in Pension geht, muss theoretisch 22 Prozent Abschlag von seiner ASVG-Pension in Kauf nehmen. In der Praxis sind es aber nur sechs Prozent, weil die Sozialversicherungen die Lücke mit einer höheren Zusatzpension schließen.
Und jetzt bitte anschnallen, denn bei der Begründung des Hauptverbands für diese teure Maßnahme könnte man leicht vom Hocker fallen: Abschläge für Sozialversicherungsfrühpensionen mit 62 wären „Geschlechterdiskriminierung“, weil Frauen ja fünf Jahre früher abschlagsfrei in den Ruhestand dürften. Aber nur bei SV-Pensionen, natürlich, weil die Auffettung dort keine Pensionsleistung, sondern eine „Dienstgeberleistung“sei. Bei gewöhnlichen ASVG-Ruheständlern wird mit unterschiedlichem Antrittsalter natürlich kein „Geschlecht diskriminiert“.
Wenn jetzt ASVG-Normalos das Gefühl bekommen, sie würden vom stellvertretenden Hauptverbandschef, Bernhard Wurzer, der das im Parlament von sich gab, verar..., äh, veräppelt, dann wird man dem argumentativ wenig entgegensetzen können. Die Rechnungshofchefin sieht im Pensionssystem der Sozialversicherer jedenfalls noch ein dreistelliges Millionen-Einsparpotenzial. Zumal allein der Aufwand für die Zusatzpensionen bei 330 Mio. Euro liegt.
Reformbedürftig ist aber nicht nur das Pensionsparadies der Sozialversicherungen. Auch organisatorisch ist da einiges zu tun. Und einiges an Einsparungspotenzial zu heben. Zum Beispiel bei der Finanzplanung. Da bemängeln die Staatskontrollore einen simplen, aber einträglichen Trick: Weil sich der Bund im Rahmen der Krankenkassensanierungspakete 2009 bis 2014 zur Abdeckung von Abgängen verpflichtete, stellten die Krankenversicherungen laut Rechnungshof übertrieben negative Budgetprognosen. Die lagen um eine gute halbe Milliarde tiefer als die dann erreichten tatsächlich Resultate. Womit der Bund wohl einen dreistelligen Millionenbetrag mehr in die Kassensanierung butterte, als notwendig gewesen wäre.
Das hatte einen unangenehmen Nebeneffekt: Der Gebarungsvorschau fehlte, so die Prüfer, nicht nur „jede Glaubwürdigkeit“, die Traumbüchelzahlen waren auch spätestens ab 2011 nicht mehr zur Unternehmenssteuerung geeignet.
Das ist aber Vergangenheit, die Zukunft liegt in einer Strukturreform, in der zwar keine Milliarden, aber doch die eine oder andere Million zu holen sein wird. Und da tut sich jetzt etwas: Die Sozialversicherungen selbst planen eine „Harmonisierung“der Kassenleistungen, praktisch das gesamte politische Spektrum ist dafür.
Und jetzt die Millionenfrage: Wenn demnächst alle Kassen harmonisiert sind, also dieselben Leistungen anbieten, wozu braucht man dann noch mehr als 20 Sozialversicherungsträger? Um Erklärung wird gebeten. Und nein: Der Wunsch nach ein paar Dutzend Sozialpartner-Versorgungsposten gilt nicht.