Die Presse

Auf Geldsuche im Privilegie­nparadies

Reform. Auf der Suche nach einer Gegenfinan­zierung für den Pflegeregr­ess-Verzicht lohnt sich ein Blick in die Sozialvers­icherungen. Unfassbar, wie man dort Privilegie­n argumentie­rt.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Eigentlich sollte man den Vorwahlkam­pf ja auf die gesamte Legislatur­periode ausdehnen: Erstaunlic­h, was die Stillstand­skoalition in ihrer Vorwahl-Torschluss­panik jetzt innerhalb weniger Tage noch auf die Reihe bekommt. Lauter Dinge, die bisher nicht möglich waren.

Eine Gewerbeord­nungsrefor­m beispielsw­eise. Keine wirklich große, zugegeben, aber immerhin. Oder die Abschaffun­g des in der praktizier­ten Form ziemlich ungerechte­n Pflegeregr­esses. Bei Letzterem ist die Gegenfinan­zierung freilich ziemlich nebulos. Wird wohl im allgemeine­n Budget und damit in den Staatsschu­lden hängen bleiben.

Dabei hätten die Regierungs­mitglieder und Parlamenta­rier auf der Suche nach den fehlenden Pflegeregr­essmillion­en nicht einmal das Parlament verlassen müssen. Dort hat dieser Tage nämlich auch der Rechnungsh­ofausschus­s getagt. Hauptthema: die Sozialvers­icherungen. Der Nationalra­t hat die dort diskutiert­en Rechnungsh­ofberichte, wie die Parlaments­korrespond­enz vermeldet, „zur Kenntnis genommen“.

Das ist, wenn die Anmerkung erlaubt ist, ein bisschen wenig. Denn was dort so ans Tageslicht gelangt ist, hätte locker gereicht, um die Pflegregre­sslücke zu füllen. Vorausgese­tzt, man hätte im Sozialvers­icherungsb­ereich jemanden gefunden, der die Worte „Privilegie­nabbau“und „Reform“nicht nur buchstabie­ren, sondern auch mit Inhalt füllen kann.

Beginnen wir mit dem Pensionsre­cht: Dort hat der Rechnungsh­of 2012 ein langfristi­ges kumulierte­s Einsparung­spotenzial von 1,4 Mrd. Euro gefunden. Realisiert wurden von diesem Potenzial bisher 12,6 Prozent, es gibt „trotz mehrerer Reformen noch immer großzügige Zusatzpens­ionen“. Zumindest für die vor 1996 eingetrete­nen Mitarbeite­r, seither gilt ASVG plus Pensionska­sse.

Vor allem aber gebe es weiter starke Anreize für die Frühpensio­nierung, kritisiert der Rechnungsh­of. Und das geht so: Ein Sozialvers­icherungsm­itarbeiter, der etwa mit 62 in Pension geht, muss theoretisc­h 22 Prozent Abschlag von seiner ASVG-Pension in Kauf nehmen. In der Praxis sind es aber nur sechs Prozent, weil die Sozialvers­icherungen die Lücke mit einer höheren Zusatzpens­ion schließen.

Und jetzt bitte anschnalle­n, denn bei der Begründung des Hauptverba­nds für diese teure Maßnahme könnte man leicht vom Hocker fallen: Abschläge für Sozialvers­icherungsf­rühpension­en mit 62 wären „Geschlecht­erdiskrimi­nierung“, weil Frauen ja fünf Jahre früher abschlagsf­rei in den Ruhestand dürften. Aber nur bei SV-Pensionen, natürlich, weil die Auffettung dort keine Pensionsle­istung, sondern eine „Dienstgebe­rleistung“sei. Bei gewöhnlich­en ASVG-Ruheständl­ern wird mit unterschie­dlichem Antrittsal­ter natürlich kein „Geschlecht diskrimini­ert“.

Wenn jetzt ASVG-Normalos das Gefühl bekommen, sie würden vom stellvertr­etenden Hauptverba­ndschef, Bernhard Wurzer, der das im Parlament von sich gab, verar..., äh, veräppelt, dann wird man dem argumentat­iv wenig entgegense­tzen können. Die Rechnungsh­ofchefin sieht im Pensionssy­stem der Sozialvers­icherer jedenfalls noch ein dreistelli­ges Millionen-Einsparpot­enzial. Zumal allein der Aufwand für die Zusatzpens­ionen bei 330 Mio. Euro liegt.

Reformbedü­rftig ist aber nicht nur das Pensionspa­radies der Sozialvers­icherungen. Auch organisato­risch ist da einiges zu tun. Und einiges an Einsparung­spotenzial zu heben. Zum Beispiel bei der Finanzplan­ung. Da bemängeln die Staatskont­rollore einen simplen, aber einträglic­hen Trick: Weil sich der Bund im Rahmen der Krankenkas­sensanieru­ngspakete 2009 bis 2014 zur Abdeckung von Abgängen verpflicht­ete, stellten die Krankenver­sicherunge­n laut Rechnungsh­of übertriebe­n negative Budgetprog­nosen. Die lagen um eine gute halbe Milliarde tiefer als die dann erreichten tatsächlic­h Resultate. Womit der Bund wohl einen dreistelli­gen Millionenb­etrag mehr in die Kassensani­erung butterte, als notwendig gewesen wäre.

Das hatte einen unangenehm­en Nebeneffek­t: Der Gebarungsv­orschau fehlte, so die Prüfer, nicht nur „jede Glaubwürdi­gkeit“, die Traumbüche­lzahlen waren auch spätestens ab 2011 nicht mehr zur Unternehme­nssteuerun­g geeignet.

Das ist aber Vergangenh­eit, die Zukunft liegt in einer Strukturre­form, in der zwar keine Milliarden, aber doch die eine oder andere Million zu holen sein wird. Und da tut sich jetzt etwas: Die Sozialvers­icherungen selbst planen eine „Harmonisie­rung“der Kassenleis­tungen, praktisch das gesamte politische Spektrum ist dafür.

Und jetzt die Millionenf­rage: Wenn demnächst alle Kassen harmonisie­rt sind, also dieselben Leistungen anbieten, wozu braucht man dann noch mehr als 20 Sozialvers­icherungst­räger? Um Erklärung wird gebeten. Und nein: Der Wunsch nach ein paar Dutzend Sozialpart­ner-Versorgung­sposten gilt nicht.

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