Diese „Minna“macht nie Pause
Sommerspiele Perchtoldsdorf. Regisseurin Veronika Glatzner bringt Poesie, Komik und verborgene Momente in Lessings 250 Jahre altem Stück zum Vorschein. Ein Triumph.
Wie führt man heute ein exakt 250 Jahre altes Stück auf, ohne dass es verstaubt und antiquiert wirkt, aber auch, ohne es durch aufgesetzte Modernisierungsmaßnahmen zu verhunzen? Veronika Glatzner zeigt gerade bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf, wie es gehen kann: Ihre präzise Inszenierung von Lessings „Minna von Barnhelm“wirkt wahrhaftig, ohne sich an eine Zeit oder einen Ort zu heften, sie macht die Geschehnisse einmal sanft, einmal energisch fühlbar und ist lustig, aber nie lächerlich. Das ist auch durchwegs überzeugenden Darstellern zu verdanken: Sie bringen Lessings Zeilen zum Klingen und finden die Komik darin, ohne klamaukig werden zu müssen.
1767 stellte Lessing seine „Minna“fertig, als Entstehungsdatum gab er aber 1763 an: Da endete der Siebenjährige Krieg, der auch zu Beginn des Stücks gerade vorbei ist. Der Wirt eines Gasthofs hat den Major von Tellheim aus dem Zimmer geworfen, weil von ihm kein Geld mehr zu erwarten ist. Tellheim lässt sich das gefallen: Als abgedankter, mittelloser Offizier mit gelähmtem Arm, dem noch dazu ein Prozess gemacht wird, fühlt er sich seiner Ehre beraubt. Das Zimmer im Gasthof bekommt ein Fräulein, das mit ihrem Kammermädchen auf der Suche nach ihrem Verlobten ist: Bald wird klar, dass es Minna von Barnhelm ist und ihr Verlobter der miserable Tellheim. Der will aber von ihr nichts mehr wissen, weil er sich ihrer nicht mehr würdig fühlt. Mithilfe einer List will sie ihn zurückgewinnen . . .
Dass Frauen allein reisen, sich in Gesellschaft vergnügen und ihr eigenes Schicksal derart in die Hand nehmen wie die aufgeklärte Minna, war im 18. Jahrhundert eigentlich undenkbar. In letzter Zeit wurde die ers- te moderne Frauenrolle des deutschen Theaters u. a. als Schnaps kippender Freigeist oder als maskuline Emanze interpretiert. Hier schmachtet sie (Marie-Christine Friedrich), hyperventiliert fast, wenn sie von ihrem Tellheim spricht, freut sich diebisch über den Streich, den sie ersinnt: Auch so kann eine starke Frau aussehen. Flankiert wird sie von einer großartigen Anna Unterberger als Franziska: Ein keckes Springinkerl, das die Gunst des Publikums schnell auf seiner Seite hat.
Es gibt ein Leben nach der Szene
Wunderbar trotzig dreinschauen kann Andreas Pattons Major, der jeden Brief umständlich mithilfe seiner Füße oder Zähne aufmachen muss. All das passiert in recht simplen, zeitlosen Kostümen und zu den Klängen barocker Gassenhauer, gespielt von einer melancholischen vierköpfigen Kombo um Michael Pogo Kreiner, die stets irgendwo auf der Bühne hockt und eine Gruppe invalider Rumtreiber darstellen soll.
Veronika Glatzner, die in den vergangenen Jahren in Perchtoldsdorf in verschiede- nen Rollen zu sehen war, inszenierte hier (nach einer berauschenden Kafka-Collage in einer aufgelassenen Wiener Wohnung) erstmals ein Stück auf der größeren Bühne. Sie interessiert sich merkbar für die zwischenmenschlichen Feinheiten und das Seelenleben ihrer Hauptfiguren. Um das zu ergründen, zeigt sie auch, was die Figuren in „privaten“Momenten außerhalb ihrer Szenen machen, wie sie nach jedem Abgang in irgendeinem Winkel des Bühnenbilds „weiterleben“.
Dieses eignet sich dafür ideal: Die Drehbühne zeigt auf der einen Seite Minnas schlichtes Zimmer, auf der anderen die Wirtsstube, in der die Musikanten aufspielen, dösen oder sich betrinken (gern auch direkt aus dem in der Wand integrierten Zapfhahn, ein schönes Detail), und dazwischen ein verschachteltes Treppenhaus, durch das die Darsteller kriechen und rennen, in dem sie flirten, streiten, Trübsal blasen und sich verstecken. Am Ende reihen sie sich alle auf und singen Georg Philipp Telemanns „Glück“: Das stilvolle Finale einer poetischen, unterhaltsamen, klugen Aufführung. Großer Jubel.