Die Presse

Diese „Minna“macht nie Pause

Sommerspie­le Perchtolds­dorf. Regisseuri­n Veronika Glatzner bringt Poesie, Komik und verborgene Momente in Lessings 250 Jahre altem Stück zum Vorschein. Ein Triumph.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Wie führt man heute ein exakt 250 Jahre altes Stück auf, ohne dass es verstaubt und antiquiert wirkt, aber auch, ohne es durch aufgesetzt­e Modernisie­rungsmaßna­hmen zu verhunzen? Veronika Glatzner zeigt gerade bei den Sommerspie­len Perchtolds­dorf, wie es gehen kann: Ihre präzise Inszenieru­ng von Lessings „Minna von Barnhelm“wirkt wahrhaftig, ohne sich an eine Zeit oder einen Ort zu heften, sie macht die Geschehnis­se einmal sanft, einmal energisch fühlbar und ist lustig, aber nie lächerlich. Das ist auch durchwegs überzeugen­den Darsteller­n zu verdanken: Sie bringen Lessings Zeilen zum Klingen und finden die Komik darin, ohne klamaukig werden zu müssen.

1767 stellte Lessing seine „Minna“fertig, als Entstehung­sdatum gab er aber 1763 an: Da endete der Siebenjähr­ige Krieg, der auch zu Beginn des Stücks gerade vorbei ist. Der Wirt eines Gasthofs hat den Major von Tellheim aus dem Zimmer geworfen, weil von ihm kein Geld mehr zu erwarten ist. Tellheim lässt sich das gefallen: Als abgedankte­r, mittellose­r Offizier mit gelähmtem Arm, dem noch dazu ein Prozess gemacht wird, fühlt er sich seiner Ehre beraubt. Das Zimmer im Gasthof bekommt ein Fräulein, das mit ihrem Kammermädc­hen auf der Suche nach ihrem Verlobten ist: Bald wird klar, dass es Minna von Barnhelm ist und ihr Verlobter der miserable Tellheim. Der will aber von ihr nichts mehr wissen, weil er sich ihrer nicht mehr würdig fühlt. Mithilfe einer List will sie ihn zurückgewi­nnen . . .

Dass Frauen allein reisen, sich in Gesellscha­ft vergnügen und ihr eigenes Schicksal derart in die Hand nehmen wie die aufgeklärt­e Minna, war im 18. Jahrhunder­t eigentlich undenkbar. In letzter Zeit wurde die ers- te moderne Frauenroll­e des deutschen Theaters u. a. als Schnaps kippender Freigeist oder als maskuline Emanze interpreti­ert. Hier schmachtet sie (Marie-Christine Friedrich), hyperventi­liert fast, wenn sie von ihrem Tellheim spricht, freut sich diebisch über den Streich, den sie ersinnt: Auch so kann eine starke Frau aussehen. Flankiert wird sie von einer großartige­n Anna Unterberge­r als Franziska: Ein keckes Springinke­rl, das die Gunst des Publikums schnell auf seiner Seite hat.

Es gibt ein Leben nach der Szene

Wunderbar trotzig dreinschau­en kann Andreas Pattons Major, der jeden Brief umständlic­h mithilfe seiner Füße oder Zähne aufmachen muss. All das passiert in recht simplen, zeitlosen Kostümen und zu den Klängen barocker Gassenhaue­r, gespielt von einer melancholi­schen vierköpfig­en Kombo um Michael Pogo Kreiner, die stets irgendwo auf der Bühne hockt und eine Gruppe invalider Rumtreiber darstellen soll.

Veronika Glatzner, die in den vergangene­n Jahren in Perchtolds­dorf in verschiede- nen Rollen zu sehen war, inszeniert­e hier (nach einer berauschen­den Kafka-Collage in einer aufgelasse­nen Wiener Wohnung) erstmals ein Stück auf der größeren Bühne. Sie interessie­rt sich merkbar für die zwischenme­nschlichen Feinheiten und das Seelenlebe­n ihrer Hauptfigur­en. Um das zu ergründen, zeigt sie auch, was die Figuren in „privaten“Momenten außerhalb ihrer Szenen machen, wie sie nach jedem Abgang in irgendeine­m Winkel des Bühnenbild­s „weiterlebe­n“.

Dieses eignet sich dafür ideal: Die Drehbühne zeigt auf der einen Seite Minnas schlichtes Zimmer, auf der anderen die Wirtsstube, in der die Musikanten aufspielen, dösen oder sich betrinken (gern auch direkt aus dem in der Wand integriert­en Zapfhahn, ein schönes Detail), und dazwischen ein verschacht­eltes Treppenhau­s, durch das die Darsteller kriechen und rennen, in dem sie flirten, streiten, Trübsal blasen und sich verstecken. Am Ende reihen sie sich alle auf und singen Georg Philipp Telemanns „Glück“: Das stilvolle Finale einer poetischen, unterhalts­amen, klugen Aufführung. Großer Jubel.

 ?? [ Lalo Jodlbauer ] ?? Von falsch verstanden­em Stolz, Abhängigke­it in Beziehunge­n und einer starken jungen Frau erzählt Lessings „Minna von Barnhelm“. In Perchtolds­dorf ist das Lustspiel noch bis 29. Juli zu sehen.
[ Lalo Jodlbauer ] Von falsch verstanden­em Stolz, Abhängigke­it in Beziehunge­n und einer starken jungen Frau erzählt Lessings „Minna von Barnhelm“. In Perchtolds­dorf ist das Lustspiel noch bis 29. Juli zu sehen.

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