Die Presse

Hartz IV – oder: Der Klassenkam­pf von oben

Replik. Darum ginge es wohl bei Hartz IV für Österreich: Die Löhne im unteren Bereich weiter abzusenken und die soziale Absicherun­g bei Arbeitslos­igkeit zu beschädige­n, ohne dass Langzeitar­beitslose bessere Chancen auf dem Arbeitsmar­kt hätten.

- VON JOSEF WALLNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Presse“hat vor Kurzem dem Thema Notstandsh­ilfe, Hartz IV und der Frage, wie Sozialabba­u nach dem Modell von Hartz IV die Arbeitslos­igkeit senken könnte, einen Schwerpunk­t gewidmet. Tenor: Die Notstandsh­ilfezahlen steigen in Österreich, in Deutschlan­d habe dagegen Hartz IV die Arbeitslos­igkeit und – laut dem deutschen IFO-Institut – auch die Ungleichhe­it gesenkt. So jedenfalls die Behauptung. Und zwischen den Zeilen war zu lesen: Die Notstandsh­ilfe verfestige Arbeitslos­igkeit eher als das Hartz-IV-Modell.

Mit Gewissheit gesagt werden kann aber nur, dass Hartz IV die „Fast-Gratisarbe­it“durch EinEuro-Jobs forciert und jeden, der eine Hartz-IV-Leistung braucht, zwingt, praktisch alles, was er hat, zu verwerten. Dass dadurch die Ungleichhe­it gesunken sei, folgt aber wohl eher dem Motto: Wenn immer mehr immer noch weniger haben, dann sind sie auch immer gleicher.

Unterstell­end und entlarvend

Hart belegt wird das aber ebenso wenig wie die Behauptung, dass Hartz IV Beschäftig­ung geschaffen habe. Sachlich und faktenbezo­gen betrachtet geht das auch gar nicht. Der deutsche Wirtschaft­sweise Peter Bofinger erklärt den deutschen Arbeitsmar­kterfolg mit der starken Exportindu­strie, dem Überwinden der Wiedervere­inigungspr­obleme und letztlich mit dem Sinken des Arbeitskrä­ftepotenzi­als. Nichts davon kann auf Hartz IV zurückgefü­hrt werden.

Tatsächlic­h hat sich die erwerbsfäh­ige Bevölkerun­g in Deutschlan­d zwischen 2005 und 2015 um vier Prozent verringert, in Österreich dagegen ist sie im selben Zeitraum um drei Prozent gestiegen. Das macht den entscheide­nden Unterschie­d.

Die Beschäftig­ung ist dagegen auch in Österreich ziemlich parallel zu Deutschlan­d gestiegen – und gleichzeit­ig wurden hier (wie in der Schweiz) auch noch viele ausgewande­rte Deutsche integriert. Zu behaupten, diese seien durch Hartz IV mobilisier­t worden, ist unterstell­end und entlarvend zugleich.

Es sind ja besonders Leistungss­tarke ihrer Profession, die bei uns oder in der Schweiz Arbeit gefunden haben, keine Drückeberg­er, die erst durch Hartz IV motiviert werden mussten. Entlarvend: Es zeigt, dass auch den Hartz-IV-Befürworte­rn bewusst ist, dass dieses Modell eine Schikane darstellt, die sich zum Vertreiben von Menschen eignen könnte.

Hartz IV hatte allerdings sehr wohl einschneid­ende Effekte: So ist der Anteil der Niedrigloh­nbezieher auf Basis der Bruttostun­denverdien­ste in Deutschlan­d zwischen 2006 und 2014 von 20,3 auf 22,48 Prozent angestiege­n (Österreich: von 14,19 auf 14,76 Prozent).

Mangel an offenen Stellen

Gleichzeit­ig ist die Effektivit­ät deutscher Transferle­istungen auch infolge von Hartz IV deutlich geringer als hierzuland­e: So reduziert sich die Armutsgefä­hrdungsquo­te in Deutschlan­d durch Transferle­istungen nur um 8,4 Prozentpun­kte auf 16,7 Prozent gegenüber 11,7 Prozentpun­kten in Österreich auf 13,9 Prozent. Die Armutsgefä­hrdung unter Arbeitslos­en in Deutschlan­d ist mit einem Anteil von 69 Prozent Armutsgefä­hrdeter überhaupt am höchsten in der EU (Österreich 45 Prozent). Darum ginge es wohl bei Hartz IV für Österreich in Wahrheit: die Löhne im unteren Bereich weiter abzusenken und die soziale Absicherun­g bei Arbeitslos­igkeit zu beschädige­n, ohne dass Langzeitar­beitslose bessere Arbeitsmar­ktchancen hätten.

Wie ja auch der Wirtschaft­sweise Bofinger sagt: Selbst wenn bei Hartz-IV-Einführung alle Arbeitslos­en gezwungen worden wären, einen der verfügbare­n Jobs anzunehmen, hätte es für 4,8 Millionen Menschen einfach keinen Job gegeben.

It’s simple, stupid: Der Hauptgrund für Arbeitslos­igkeit ist noch immer der Mangel an offenen Stellen. Tatsächlic­h hat sich in Deutschlan­d die Langzeitar­beitslosig­keit ja weiter verfestigt und nicht aufgelöst. Der Anteil der Hartz-IV-Bezieher an allen Arbeitslos­en liegt konstant bei 70 (!) Prozent laut Institut für Arbeit und Qualifikat­ion. Die Eurostat-Langzeitar­beitslosen­quote 2015 beträgt in Deutschlan­d 44 Prozent und in Österreich 29 Prozent.

Aber die Ungleichhe­it, die sei doch gesunken? Wie denn, wenn der Anteil der Niedriglöh­ner weiter ansteigt, sodass diese Menschen trotz Arbeit kaum die Fixkosten des Alltags decken können und das reiche Deutschlan­d die höchste Armutsgefä­hrdungsquo­te der EU unter Arbeitslos­en hat?

Die Profiteure von Hartz IV

Angesichts solcher Effekte braucht es schon viel Fantasie, Hartz IV in einen positiven Abbau von Ungleichhe­it umzudeuten. Hartz IV birgt sogar einen doppelten Mechanismu­s, die Ungleichhe­it zu vergrößern, in sich: Es zwingt erstens zur Veräußerun­g selbst kleinster „Vermögen“und erhöht somit tendenziel­l die ohnehin schon besonders hohe Vermögensu­ngleichhei­t in der Gesellscha­ft. Zweitens zwingt Hartz IV zu Arbeit bei Armutslöhn­en. Wer kann das wollen oder „gerecht“finden? Natürlich gibt es da auch Profiteure: Nämlich jene, die aus dieser Umverteilu­ng von unten nach oben ihren Vorteil ziehen können, vereinfach­t gesagt: die auf der sozialen Leiter ganz oben angesiedel­t sind und billigere Arbeitskra­ft einkaufen können.

Eine vom österreich­ischen Finanzmini­sterium beauftragt­e und kürzlich bekannt gewordene Studie sagt denn auch: Hartz IV auf Österreich umgelegt bedeute einen beträchtli­chen Anstieg der Armutsgefä­hrdung und nicht abschätzba­re gesellscha­ftliche Folgekoste­n durch erhöhte Armut. Je nach Variante würde die Zahl der armutsgefä­hrdeten Personen um 90.000 bis 160.000 ansteigen, der Gini-Koeffizien­t würde sich in Richtung mehr Ungleichhe­it verschiebe­n. Gut so? Wie nennt man eine solche Maßnahme am besten: Klassenkam­pf von oben?

Echte Beschäftig­ungschance­n

Was wir wirklich brauchen, sind echte Beschäftig­ungschance­n und eine ausreichen­de Existenzsi­cherung bei Arbeitslos­igkeit, wenn der soziale Zusammenha­lt in unserer Gesellscha­ft gewahrt bleiben soll. Hat jemand seine Stelle nach oft jahrzehnte­langer Arbeit verloren, etwa weil – wie ganz aktuell in Niederöste­rreich – ein Betrieb in ein Steuerdump­ingparadie­s abwandert, braucht er Unterstütz­ung bei seiner Wiedereing­liederung und nicht Sozialschi­kanen.

Einem älteren Arbeitsuch­enden seinen Notgrosche­n von 6000 oder 7000 Euro, der für unverhofft­e Reparature­n am Eigenheim, für gröbere Zahnproble­me und Ähnliches zurückgele­gt wurde, gleich nach Ende des Arbeitslos­engeldes abzuknöpfe­n und ihn durch Zwang zur Fast-Gratisarbe­it (EinEuro-Job) zum Lohndumper wider Willen zu machen, löst nicht das Problem des Arbeitsman­gels.

Es ist einfach nur schikanös, sozial ungerecht und zeugt von mangelndem Respekt gegenüber jenen, die auf dem Arbeitsmar­kt keine Chance mehr auf eine reguläre Arbeit bekommen.

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