Die Presse

Merkel gibt ihr Ja-Wort nicht

Deutschlan­d. Der Bundestag beschloss nach einer turbulente­n Woche in der letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e die „Ehe für alle“. Aus der Union kam mehr Zustimmung als erwartet.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Am Freitag gegen 9.15 Uhr fällt unter der Reichtagsk­uppel die letzte konservati­ve Bastion. Bilder zeigen einen Mann mit Tränen in den Augen, der den Mann neben ihm herzt und küsst. Beide tragen ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Ehe für alle“, die der Bundestag soeben beschlosse­n hat.

Es ist ein historisch­es Votum, das in dieser Legislatur­periode vor ein paar Tagen noch niemand für möglich gehalten hat. Doch am Montagaben­d gab CDU-Kanzlerin Angela Merkel während einer Plauderstu­nde mit der Frauenzeit­schrift „Brigitte“beiläufig die Abstimmung als Gewissensf­rage frei. Im Blick hatte sie indessen die Zeit nach der Bundestags­wahl im Herbst. Ein geschickte­r Schachzug. Merkel räumte damit wieder einmal ein Thema der Konkurrenz ab.

Nur hatte die Kanzlerin übersehen, dass fertige Anträge zu dem Thema im Rechtsauss­chuss liegen, dass also ein Votum noch in dieser Legislatur­periode möglich ist. Und dass die nach Erfolgen lechzende SPD dafür den Koalitions­partner brüskieren würde: Eine vorübergeh­ende rot-rot-grüne Zweckehe brachte gestern den Antrag im Bundestag ein – gegen den ausdrückli­chen Willen der Union, die einen Vertrauens­bruch beklagte.

Rotes Kärtchen für Merkel

Schon als der strittige Punkt Freitagfrü­h auf der Tagesordnu­ng landete, gab es Applaus und Gejohle im Sitzungssa­al. „Beifallsst­ürme nach Geschäftso­rdnungsänd­erungen hatten wir auch selten“, kommentier­te CDU-Bundestags­präsident Norbert Lammert launig. Die SPD hatte zudem eine namentlich­e Abstimmung erzwungen. Alle in der Union mussten nun Farbe bekennen, auch Merkel, die ein rotes Kärtchen in der Hand hielt. Sie stimmte mit Nein.

„Für mich ist die Ehe im Grundgeset­z die Ehe von Mann und Frau“, erklärte die Pastorento­chter. Auch die Evangelisc­he Kirche unterstütz­t die Öffnung der Ehe – wie jene 75 Unionsabge­ordneten, ein Viertel der Fraktion und damit weit mehr als erwartet. Das „JaWort“gaben auch Merkel-Vertraute wie Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen oder Kanzleramt­sminister Peter Altmaier.

Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder hatte indes schon zuvor in der Blitzdebat­te erklärt, er würde „nie etwas unterschre­iben, wo Ehe für alle drinsteht“– und zwar aus „Gewissensg­ründen“. Sein Parteikoll­ege Jan-Marco Luczak beschwor dagegen auch andere Christdemo­kraten, die Ehe zu öffnen: „Gebt euch einen Ruck!“

„Es ist genug Ehe für alle da“, sagte auch die Grüne Katrin Göring-Eckardt und lobte das „Le- benswerk“ihres Parteikoll­egen Volker Beck, des scheidende­n Abgeordnet­en und Schwulenre­ferenten, der gestern am letzten Sitzungsta­g völlig unverhofft seinen Willen bekam – und einen Konfettire­gen im Bundestag obendrauf.

Im katholisch­en Bayern sieht man das alles etwas anders, jedenfalls in weiten Teilen der CSU. Wobei gestern auch sieben Christlich­Soziale mit Ja stimmten. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer kann sich Volladopti­onen durch homosexuel­le Paare vorstellen. Auch Merkel hatte erklärt, Volladopti­onen zu unterstütz­en. Es ist dies der letzte Punkt, in dem das Bundesverf­assungsger­icht die 43.000 eingetrage- nen Lebenspart­nerschafte­n (Stand 2015) noch nicht an die Ehe angegliche­n hat.

Die Bundestags­debatte verlief in sachlichem, stellenwei­se versöhnlic­hem Ton. Bis zum Auftritt von Johannes Kahrs. „Erbärmlich“und „peinlich“nannte der homosexuel­le SPD-Abgeordnet­e das „Herumgesch­wurbel“der Kanzlerin, die ihn kurz ansah und dann wieder den Blick nach vorn richtete. „Seit 2005 haben Sie die Diskrimini­erung von Lesben und Schwulen unterstütz­t“, brüllte Kahrs ins Mikrofon und schlug dabei immer wieder mit einer Hand gegen das Podium. Merkel habe auch nichts weiter als einen „Schabowski-Moment“gehabt. „Vielen Dank für Nichts!“Günter Schabowski hatte 1989 in der DDR mit ein paar ungelenken Worten zur Reisefreih­eit den Mauerfall ausgelöst.

Auf der Zuschauert­ribüne saß der 28-jährige Ulli Köppe, der am Montagaben­d bei Merkels „Brigitte-Talk“die Frage stellte: „Wann darf ich meinen Freund denn nun Ehemann nennen?“So fing diese turbulente Woche an.

Die Gegner in der Union klammern sich indes an die zarte Hoffnung, das Gesetz könnte gegen die Verfassung verstoßen. SPD-Justizmini­ster Heiko Maas erklärte zwar in einem Interview, der Ehebegriff des Grundgeset­zes stünde „offen für einen Wandel der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se“. Allerdings hatte sein Ministeriu­m eine Verfassung­sänderung 2015 noch für nötig erachtet, erinnerte gestern CDUMann Kauder. Läuft alles glatt, wird frühestens im Herbst nicht mehr verpartner­t, sondern geheiratet.

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[ APA ] Die SPD-Granden Oppermann und Schulz schnitten sich ein Stück des Erfolgs ab.

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