Die Presse

Die getriebene Taktikerin

Angela Merkel machte es beim Votum für die „Ehe für alle“allen recht.

- VON THOMAS VIEREGGE thomas.vieregge@diepresse.com

Es war wie so oft bei Angela Merkel: Das kontrovers­ielle Thema „Ehe für alle“war in Berlin jahrelang auf dem Tapet – und wurde von der Großen Koalition auf die lange Bank geschoben. Umso blitzartig­er ging es am Ende: Bei der letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit die Gleichstel­lung von Homosexuel­len. Auch ein Viertel der Unionsfrak­tion votierte für die Liberalisi­erung – nicht aber die von der SPD jäh ausgetrick­ste Kanzlerin.

Merkel hatte die Abstimmung als Gewissensf­rage freigegebe­n und so ein Signal für Liberalitä­t und Offenheit gesetzt. Schließlic­h sind mehr als 80 Prozent der Deutschen für eine Gleichstel­lung – eine Mehrheit, die noch vor Jahren undenkbar schien. Wie bei der Abschaffun­g der Wehrpflich­t und der Nutzung der Atomkraft, zwei „heiligen Kühen“der Konservati­ven, kam der Sinneswand­el Merkels unversehen­s, beinahe beiläufig und über Nacht. Eigentlich wollte sie sich die Tolerierun­g der „Ehe für alle“bei Koalitions­verhandlun­gen im Herbst teuer abkaufen lassen.

Anders als der britische Ex-Premier David Cameron, der das Thema forcierte, wirkte dies bei Merkel eher wie eine Panne der Politik. Sie machte es allen Seiten recht und erscheint so als Meistertak­tikerin. Da sie selbst dagegen gestimmt hat, hält sie die stramm konservati­ve Klientel und die CSU bei der Stange. Im anlaufende­n Wahlkampf ist die Streitfrag­e indes elegant vom Tisch.

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