„Im Reich des IS wurde das Lachen verlernt“
Interview. Iraks Außenminister, Ibrahim al-Jaafari, über die Zeit nach einem Sieg über die IS-Extremisten, kurdische Unabhängigkeitspläne und die Krise zwischen Saudiarabien und dem Iran.
Die Presse: Irakische Truppen haben die al-Nouri-Moschee in Mossul zurückerobert. Wie lang wird es dauern, bis die ISJihadisten völlig besiegt sind? Ibrahim al-Jaafari: Die al-Nouri-Moschee ist ein sehr wichtiges Symbol für Mossul. Sie liegt im Herzen der Stadt und ist strategisch sehr wichtig. Es ist schwierig, den Zeitraum zu begrenzen, bis wann genau wir die Terroristen aus dem Land vertrieben haben. Aber der IS wird im Irak bald besiegt sein.
Die Offensive hat vor fast einem Jahr begonnen. Warum hat sie so lang gedauert? Wir dachten, dass es schneller gehen wird. Aber die vielen Zivilisten in Mossul sind ein Problem. Die IS-Terroristen missbrauchen die Menschen als Schutzschilde, dadurch hat sich das Ganze in die Länge gezogen. Es ist schwierig, die Balance zu halten zwischen der Befreiung der Stadt in einem bestimmten Zeitraum und dem Schutz der Zivilisten. Die IS-Terroristen sind einfallsreich beim Missbrauch der Zivilisten als Schutzschilde. Sie verschanzen sich in den Obergeschoßen der Hochhäuser und halten in den Untergeschoßen die Menschen gefangen. Man muss dann genau überlegen, ob man einen Luftschlag durchführt, damit die Zivilisten dem nicht zum Opfer fallen.
Der IS konnte so rasch an die Macht gelangen, weil es 2014 in Mossul eine Art von Aufstand gegeben hat. Wie soll jetzt die Zeit nach der Befreiung aussehen? Die Zivilbevölkerung in Mossul und Falluja stand nie auf der Seite des IS. Der IS hat viele Exekutionen durchgeführt. Er hat Frauen vergewaltigt und Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt. Dazu kamen öffentliche Auspeitschungen und Massaker. Das hat alles dazu geführt, dass sich die Menschen vom IS abgewandt haben. Das heißt aber nicht, dass wir nicht vor großen Herausforderungen stehen. Die Städte, die zerstört worden sind, müssen wieder aufgebaut werden. Und die Vertriebenen müssen dorthin zurückkehren können. Wir setzen bei dieser schwierigen Aufgabe auf die Hilfe unsere Partner und Freunde.
Aber 2014 gab es in Mossul und anderen sunnitischen Städten große Unzufriedenheit mit der Regierung in Bagdad. Deshalb war es für den IS leicht, die Kontrolle zu übernehmen. Was kann nun getan werden, um die sunnitische Bevölkerung stärker einzubinden? Wäre eine eigene autonome Region eine Lösung? Die sunnitische Bevölkerung ist im Parlament und in allen Führungsebenen des Irak voll vertreten. Dass die Sunniten im Irak un- terdrückt werden, ist Propaganda des IS und mancher Nachbarstaaten. Schauen Sie im Vergleich dazu, was in den Gebieten passiert ist, in denen der IS geherrscht hat. Was hat der IS dort mit den sunnitischen Menschen gemacht? In seinem Reich wurde das Lachen verlernt. Der IS ist ein Monster und kann nur morden.
Was kann Österreich ist dieser schwierigen Situation tun, um dem Irak zu helfen? Österreich kann auf vielen Ebenen helfen. Wir brauchen dringend medizinische und humanitäre Hilfe. Und wir brauchen auch beim Wiederaufbau Unterstützung. Österreich kann uns auch in den internationalen Organisationen beistehen. Ich bedanke mich bei Österreich und anderen Partnern, dass sie dabei geholfen haben, dass unsere Stimme in der Welt gehört wird.
Der Präsident der Kurdenregion, Massud Barzani, hat angekündigt, im September ein Referendum über eine Unabhängigkeit abzuhalten. Wie sehen Sie das? Wir sind ein Staat, und dieser Staat unterliegt einer Verfassung. Alles, was verfassungskonform ist, stellt für uns kein Problem dar. Die Region Kurdistan hat ihre eigene Führung und ihr eigenes Parlament. Nach dem Sturz der Diktatur Saddam Husseins waren die beiden darauffolgenden Staatspräsidenten des Irak immer Kurden. Die Kurden sind im Parlament in Bagdad vertreten. Von einem Referendum in Kurdistan ist nicht nur der Irak betroffen, sondern auch die Nachbarstaaten. Das betrifft die Türkei, Syrien und den Iran, wo auch Kurden leben. Jede Aktion in der Kurdenregion hat Auswirkungen auf diese Länder, und sie haben schon zum Teil negative Signale ausgesendet. Die kurdische Bevölkerung des Irak genießt derzeit volle Rechte. Um weitere Schritte zu setzen, sollte man sich viel Zeit lassen.
Aber sollte sich die Kurdenregion nach einem Unabhängigkeitsreferendum abspalten: Bedeutet das die Gefahr eines neuen Krieges im Irak? Es kann sein, dass es auch zu Problemen in der Region Kurdistan selbst kommt. Und dass es Reaktionen in den Nachbarstaaten gibt. Die irakische Regierung geht davon aus, dass alle verfassungsrechtlichen Aspekte eingehalten werden. Sie wird akzeptieren, was durch die Verfassung erlaubt ist, und nicht akzeptieren, was durch die Verfassung nicht erlaubt ist.
Zwischen dem Emirat Katar und Saudiarabien steigen die Spannungen. Wie ist der Irak von diese Krise in seiner unmittelbaren Nachbarschaft betroffen? Wir sind nicht Teil dieses Problems. Wir unterhalten sowohl Beziehungen zu Saudiarabien als auch zu den anderen Staaten der Region. Manche der Spannungen unter den anderen Golfstaaten haben einen Stammeshintergrund oder wirtschaftliche Hintergründe. Aber diese Entwicklungen helfen nicht bei der Stabilisierung der Region. An einer weiteren Eskalation kann niemand Interesse haben. Denn wenn ein Krieg in dieser Region ausbricht, sind nicht nur die beiden Streitparteien davon betroffen, sondern auch alle anderen Staaten. Wir setzen uns für Deeskalation ein und fordern auch von allen anderen Ländern, sich in diesem Sinn zu verhalten.
Die Spannungen in der Region werden durch die Rivalität zwischen Saudiarabien und dem Iran angeheizt. Strategen in Saudiarabien sagen, dass sich eine iranischschiitische Einflusszone vom Iran über den Irak und Syrien bis in den Libanon zieht. Es gibt in Saudiarabien Bestrebungen, diesen iranischen Machtbogen zu durchbrechen. Was bedeutet das für den Irak, der ja ebenfalls von den Saudis zu Irans Einflussbereich gezählt wird? Das sind Befürchtungen in Saudiarabien, aber real hat das keine Substanz. Zumindest der Irak akzeptiert eine Aufteilung der Region in Blöcke nicht. Wir stehen auf keiner Seite und machen unsere eigene Politik.
Der Irak erhält aber Hilfe iranischer Truppen im Kampf gegen den IS. Wenn sich Staaten bei Krisen zusammentun, heißt das nicht, dass sie in einem Block sind. Das hat sich in der Kriegssituation so ergeben. Auch Churchill und Roosevelt waren im Zweiten Weltkrieg mit Stalin gegen Hitler verbündet. Das hat der Krieg mit sich gebracht. Jeder Staat hat seine Eigenständigkeit. Jeder Staat besitzt seine eigene Kultur und seinen Stolz. Das sind Dinge, die nicht so einfach aufgegeben werden. Wir wollen nicht, dass man uns zu dieser oder zu jener Seite zählt. Wir haben unsere Souveränität.
ist seit 2014 Außenminister des Irak. Er studierte in Mossul Medizin und betrieb religiöse Studien. 1966 schloss er sich der schiitischen Islamischen Dawa-Partei an. Während Saddam Husseins Herrschaft ging er ins Exil in den Iran und später nach Großbritannien. 2005, zwei Jahre nach Saddams Sturz, wurde er Premierminister des Irak, ein Amt, das er bis 2006 innehatte.