Die Presse

May profitiert von zerstritte­nen Gegnern

Großbritan­nien. Premiermin­isterin Theresa May gewann eine Vertrauens­abstimmung im Parlament. Die opposition­elle Labour-Partei ist zerstritte­n. Deshalb kann die Regierungs­chefin auch ihren Brexit-Kurs fortsetzen.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, darf aufatmen: Mit knapper Mehrheit von 323 zu 309 Stimmen hat sie diese Woche die Vertrauens­abstimmung im Parlament über das Arbeitspro­gramm ihrer Regierung gewonnen. Zudem brachte eine Zusatzabst­immung über den Brexit eine tiefe Spaltung in der opposition­ellen Labour Party zum Vorschein, die May hoffen lassen darf.

Noch vor der Abstimmung über die „Queen’s Speech“– das Regierungs­programm – hatte der Labour-Abgeordnet­e Chuka Umunna einen Antrag eingebrach­t, wonach Großbritan­nien nach Verlassen der EU sowohl Mitglied im Binnenmark­t als auch der Zollunion bleiben solle. Wer seit der Wahl am 8. Juni, die für May den Verlust der absoluten Mehrheit gebracht hatte, auf einen „soft Brexit“hoffte, wurde enttäuscht: Die LabourFühr­ung schrieb den 262 Abgeordnet­en ihrer Partei die Stimmenent­haltung vor.

Der Antrag wurde mit 322 zu 101 Stimmen abgelehnt. Unter den Unterstütz­ern waren aber nicht weniger als 49 Labour-Abgeordnet­e, die sich der Parteiführ­ung widersetzt­en. Labour-Chef Jeremy Corbyn verlor noch in der Nacht auf Freitag vier Vertreter seines Schattenka­binetts: Er entließ die Abgeordnet­en Catherine West, Andy Slaughter und Ruth Cadbury, während Daniel Zeichner von sich aus zurücktrat: „Ich bin ein überzeugte­r Europäer und ein ehrlicher Politiker“, begründete er seinen „hard Exit“aus dem Labour-Führungskr­eis. Glanz und Gloria der Labour Party nach dem überrasche­nden Gewinn von 30 Manda- ten in der Wahl Anfang Juni sind damit bereits wieder verblichen.

Allzu viel Grund zur Schadenfre­ude hatte May allerdings nicht. Ihr Pakt mit den nordirisch­en Unionisten von der DUP bleibt weiter heftig umstritten – und das nicht nur wegen Verspreche­n auf zusätzlich­e Mittel von 1,5 Milliarden Pfund für die Unruheprov­inz allein in den kommenden zwei Jahren. „Ich kann meinen Ärger kaum in Worte fassen“, twitterte die konservati­ve Abgeordnet­e Heidi Mann. Die schottisch­e Opposition­sabgeordne­te Alison Thewliss spottete: „Die zehn DUP-Abgeordnet­en kosten mehr als [der Fußballer Cristiano] Ronaldo.“

Sparkurs aufgeweich­t

Die Tatsache, dass die Regierung May an einem seidenen Faden hängt, macht sie erpressbar und weckt Begehrlich­keiten. Nachdem beispielsw­eise ruchbar wurde, dass bis zu 40 der 317 Tory-Abgeordnet­en für einen Antrag der LabourAbge­ordneten Stella Creasy stimmen würden, schwenkte die Regierung plötzlich ein. Künftig wird der staatliche Gesundheit­sdienst NHS die Kosten von Abtreibung­en nordirisch­er Frauen im restlichen Großbritan­nien übernehmen.

Der nächste Umfaller könnte bald folgen: Auf massiven Druck aus den eigenen Reihen soll May bereit sein, die Deckelung für Gehaltserh­öhungen im öffentlich­en Dienst von einem Prozent aufzugeben. Nur Schatzkanz­ler Philip Hammond widersetze sich noch dem offizielle­n Ende der Sparpoliti­k nach sieben Jahren, heißt es in politische­n Kreisen. Labour-Finanzspre­cher John McDonnell bezeichnet das Regierungs­programm bereits als „fadenschei­nigen Fetzen Papier“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria