Die Angst der Schichtarbeiter vor dem E-Motor
Daimler. In Sindelfingen werden ab heute weniger Mercedes-E-Klasse-Modelle vom Fließband rollen. Schichtarbeiter bei Daimler weigern sich nämlich, Überstunden zu machen. So verleihen sie ihrer Angst vor dem Elektromotor Ausdruck.
Stuttgart. Dass die Automobilindustrie vor einem radikalen Wandel steht, ist bekannt. Die Angst unter den Mitarbeitern geht längst um. Und bei Daimler in Deutschland manifestiert sich diese Angst nun in einem Streit zwischen Management und Betriebsrat. Dieser Streit wird heute, Samstag, dazu führen, dass Hunderte Modelle der Mercedes-E-Klasse nicht produziert werden können. Die Mitarbeiter weigern sich nämlich ab 1. Juli, Überstunden zu machen.
Derartige Aktionen des Betriebsrats kennt man, wenn es um höhere Lohnforderungen über Überstundenzuschläge geht. Aber darum geht es diesmal nicht. Die Mitarbeiter wollen nicht mehr Geld, sondern eine Zusage, dass sie in wenigen Jahren noch immer einen Job haben werden. Vor allem im Stuttgarter Werk Untertürkheim grassiert die Angst. Dort werden Antriebsstränge produziert, die aber ausschließlich Verbrennungsmotoren dienen. Doch auch Mercedes hat erklärt, künftig stärker auf den Elektromotor zu setzen. Aber wer wird diese Motoren bauen? Braucht man für diese vergleichsweise simple Technologie noch die Facharbeiter aus Stuttgart?
10.000 Jobs sind in Gefahr
„Belegschaft und Betriebsrat erwarten, dass das Unternehmen möglichst viele Umfänge der elektrischen Antriebskomponenten selbst fertigt und damit einen Beitrag zur Beschäftigungssicherung leistet“, sagte Wolfgang Nieke der „Welt“. Er ist Betriebsratschef in Untertürkheim. Um ihrem Wunsch Nachdruck zu verleihen, verweigern die Mitarbeiter ab sofort, Überstunden zu machen. In dem Werk arbeiten 19.000 Mitarbeiter, davon sind etwa die Hälfte vom Verbrennungsmotor abhängig.
Und die Belegschaft weiß, dass dieser Dienst nach Vorschrift das Unternehmen schmerzt. Denn die Nachfrage nach der E-Klasse ist derzeit so groß, dass Daimler selbst mit zusätzlichen Schichten mit der Produktion kaum nachkommt. Ab Samstag werden nun täglich Hunderte Autos weniger vom Fließband laufen, werden Mercedes-Kunden viel länger auf ihren Wagen warten müssen. Denn die Überstundenverweigerung in Untertürkheim führt dazu, dass in Sindelfingen, wo die E-Klasse produziert wird, die Teile nicht mehr ankommen. Deshalb wurde dort per Samstag die Frühschicht gestrichen.
Das Unternehmen habe längst angeboten, dass in Untertürkheim künftig Batteriepakete für Elektroautos hergestellt werden, sagte Standortchef Frank Deiß der „Welt“. Doch längst stellt Daimler seine Akkus im sächsischen Kamenz her. Dort gilt nämlich nicht der baden-württembergische Tarifvertrag.
Daimler ist nicht der einzige Autobauer, bei dem die Angst kursiert. Erst vor wenigen Tagen kritisierte der Audi-Betriebsrat, dass bereits das zweite E-Modell in Brüssel statt in Ingolstadt gefertigt werden soll. (APA)