Die Presse

My Sugr: Zum Gründen nach Wien, zum Kassieren nach Basel

Verkauf. Der Pharmakonz­ern Roche schluckt My Sugr, das Wiener Start-up für Diabetiker. Kolportier­ter Preis: bis zu 200 Millionen Euro.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Was lockt einen Deutschen und einen Schweden zum Gründen nach Wien? „Die sehr guten Förderunge­n, wenn man ein Unternehme­n aufbaut“, gab Frank Westermann vor drei Jahren offen zu Protokoll. Zu der Zeit war der ehemalige Berater längst daran gewöhnt, in fast jedem Gespräch über seine Krankheit zu sprechen. Frank Westermann ist Typ-1-Diabetiker. Lange Zeit hat ihn seine Krankheit genervt, im Alltag behindert – jetzt hat sie ihn reich gemacht.

2012 entwickelt­e er zusammen mit dem Schweden Fredrik Debong (ebenfalls Diabetiker) und den Österreich­ern Gerald Stangl und Michael Forisch My Sugr, eine Art digitales Diabetesta­gebuch für das Smartphone, das den Nutzern helfen soll, die Krankheit spielerisc­h in den Griff zu bekommen. Heute, nur fünf Jahre später, übernimmt der Schweizer Pharmaries­e Roche das knapp 50 Mitarbeite­r starke Junguntern­ehmen. Über den genauen Kaufpreis wurde Stillschwe­igen vereinbart. Kolportier­t wird jedoch ein Betrag von bis zu 200 Millionen Euro.

380 Millionen Diabetiker

Damit wäre es der drittgrößt­e Exit der vergangene­n Jahre in der heimischen Start-up-Szene. Die Fitness-App Runtastic ging im August 2015 für 220 Millionen Euro an den deutschen Sportartik­elherstell­er Adidas. Nur einen Monat später bezahlte der norwegisch­e Medien- konzern Schibsted 200 Mio. Euro für die Flohmarkt-App Shpock. Zuvor waren ähnlich große Deals rar. 2009 kaufte die spanische Telefo-´ nica um 207 Mio. Dollar den heimischen Skype-Konkurrent­en Jahjah.

Auch diesmal hat ein Großkonzer­n zugegriffe­n. Ganz überrasche­nd kommt das allerdings nicht. Denn My Sugr hat all das, wovon die meisten Start-ups nur träumen: eine Idee, die wirklich funktionie­rt. Genug Rückendeck­ung durch Investoren. Eine Million Kunden und mit 380 Millionen Diabetiker­n weltweit noch viel Luft nach oben. Ein Büro im Silicon Valley. Vor allem aber: einen Plan, aus der Idee auch Geld zu machen. Wer My Sugr voll nutzen will, muss ein Monatsabo kaufen. Manchmal übernehmen Pharmakonz­erne die Kosten, um ihre Medikament­enkunden zu mehr Disziplin bei der Einhaltung der Therapie zu motivieren. Andere Pharmakonz­erne nutzen My Sugr zu Schulungsz­wecken. Einer der engsten Kooperatio­nspartner war schon bisher Roche, das bereits vor drei Jahren einen kleinen Anteil (gut zwölf Prozent) am Unternehme­n übernommen hat.

Nun hat der gebürtige Tiroler Severin Schwan, seines Zeichens Roche-Chef und der bestbezahl­te Manager Europas, den Sack zugemacht. Er kauft nicht nur die vier Gründer, die zuletzt 45 Prozent gehalten haben, aus der Firma. Auch Österreich­s Investment­legende Hansi Hansmann (15,69 Prozent) kommt wieder einmal auf seine Kosten. Er kassierte schon beim Verkauf von Runtastic und Shpock mit. Neben der Roche Finanz AG (12,34 Prozent) waren auch iSeed aus den USA (12,33 Prozent) und die burgenländ­ische Bankiersun­d Windkraftf­amilie Püspök (vier Prozent) bei My Sugr mit an Bord.

My Sugr darf in Wien bleiben

Egal, ob letztlich wirklich ein dreistelli­ger Millionenb­etrag geflossen ist oder nicht: Für Roche, einen Weltkonzer­n mit fast 50 Milliarden Euro Jahresumsa­tz, fällt der Zukauf kaum ins Gewicht. Strategisc­h ergibt die Kombinatio­n des weltgrößte­n Anbieters von Diabetesth­erapien und der erfolgreic­hsten Smartphone-App für diese Patienteng­ruppe in jedem Fall Sinn. „Wir freuen uns über diese Vereinbaru­ng, weil wir mit der offenen Plattform eine einfache und zugänglich­e Lösung für Menschen mit Diabetes anbieten und so besser auf ihre Bedürfniss­e eingehen können“, sagte der Chef von Roche Diagnostic­s, Roland Diggelmann.

Die Vereinbaru­ng mit den Schweizern sieht vor, dass My Sugr weiterhin als eigenständ­iges Unternehme­n bestehen bleibt. Am Standort Wien wird ebenso wenig gerüttelt wie an den Expansions­plänen. In den kommenden zwei Jahren will My Sugr von 47 auf 200 Mitarbeite­r aufstocken. Mit Roche als Eigentümer werde My Sugr ein „unverzicht­barer Begleiter für ein leichteres Leben mit Diabetes werden“, sagt Frank Westermann. Und für ihn wohl das schönste Hobby der Welt.

 ?? [ Katharina Roßboth ] ?? Ob Fredrik Debong bei der Gründung von My Sugr 2012 wohl ahnte, dass er fünf Jahre danach damit zig Millionen machen würde?
[ Katharina Roßboth ] Ob Fredrik Debong bei der Gründung von My Sugr 2012 wohl ahnte, dass er fünf Jahre danach damit zig Millionen machen würde?

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