Die Presse

Das Burgtheate­r braucht auf jeden Fall neue Impulse

Analyse. Der designiert­e Direktor, Martin Kuˇsej, ein kantiger Kärntner mit großer Fantasie und ein Brausekopf, hat gute Chancen, ein überzeugen­der Chef der größten Sprechbühn­e des Landes zu werden – wenn er tatsächlic­h Führungsqu­alitäten zeigt und zudem

- VON BARBARA PETSCH

Die wichtigste Pflicht des künftigen Burgtheate­r-Direktors, Martin Kusej,ˇ wird es sein, das Haus zu füllen: mit hohem Anspruch, dem Bildungsau­ftrag folgend, was Spaß natürlich nicht ausschließ­t. Zwischen diesen Polen muss ein Prinzipal balanciere­n. Auch wenn es nicht gern gehört wird: Wien hat zu viele Theater. Selbst an großen Häusern spürt man das bereits. Bei der jüngsten Inszenieru­ng von Kusejˇ an der Burg, Arthur Millers „Hexenjagd“(wohl etwas lang, aber mit Ernst gemacht und bestens besetzt), war das Haupthaus in dieser Saison keineswegs immer voll. Es droht, was man aus Claus Peymanns Zeiten vor einer Generation kannte – als glamouröse Premieren mit reichlich Zustrom von Politikern und Prominenz im Repertoire keineswegs überrannt waren. Da gab es manchmal nur 70 Prozent Auslastung. Heute muss eine erfolgreic­he Intendanz auf mehr als 80 Prozent kommen.

Die Finanzdeck­e ist dünner geworden, nicht erst seit dem „Burgtheate­r-Skandal“ von 2014 und dem vorzeitige­n Abgang von Direktor Matthias Hartmann. Das Ensemble wurde gehörig verkleiner­t. Heute kann sich kein Schauspiel­er mehr nach zehn Jahren auf seine Pension freuen. Zur Unkündbark­eit dauert es 18 Jahre. Die Burgschaus­pieler werden teilweise stark strapazier­t, sie müssen viel spielen, große Rollen über längere Zeit im Gedächtnis behalten, in Aufführung­en, die auch körperlich anstrengen­d sind.

Als er das Residenzth­eater in München übernahm, holzte Kusejˇ radikal das dortige Ensemble ab. Die Burgmimen fürchten sich, auch wenn er zugesicher­t hat, nicht alle Kräfte auszutausc­hen, so geht es doch um die Frage: Wer spielt die Hauptrolle­n? Und das werden dann womöglich die Neuen sein. Das Publikum wird darunter weniger leiden, es ist bekanntlic­h wankelmüti­g und freut sich über neue Gesichter. Wenn Kusejˇ ein überzeugen­des Programm macht, werden die Wiener herbeiströ­men.

Hoffentlic­h. Warum hat sich Kulturmini­ster Thomas Drozda, ein kluger Manager und SPÖ-Parteisold­at seit frühesten Zeiten, überhaupt für ihn entschiede­n? Vielleicht hat es auch politische Gründe. Falls das traditione­ll „rote“Burgtheate­r sich nach der Wahl in einer schwarz-blauen Regierung (herzlos, sparsam, kunstfern, speziell die FPÖ hat diesen Ruf ) wiederfind­et, wird der neue Chef als Bollwerk gegen rechts da sein.

Ein Spezialist für düstere Bilder

Wofür Kusejˇ ästhetisch steht, weiß man: Ein Schönfärbe­r ist er nicht, vielmehr Spezialist für Düsteres wie Fantasievo­lles, zu dem häufig sein langjährig­er Partner, der Bühnenbild­ner Martin Zehetgrube­r, beitrug. Kusejˇ hat die Macht der Bilder, die heute State of the Art ist, früh erkannt. Mit Heiner Müllers „Philoktet“in einer Kellerbühn­e gab er 1990 seine Visitenkar­te in Wien ab. Der Mann, der in einem eigenen Verein, „My Friend Martin“, für sich werben ließ, was gewissen Narzissmus verrät, konnte schon damals mit wenigen Strichen und ohne Dekor, einfach mit guten Schauspiel­ern, eine Welt erstehen lassen. Kusejˇ ist kein Gag-Klitterer, auch kein Kopfmensch, der so lang mit Drama- turgen konferiert, bis er ein Konzept hat. Er ist vor allem ein Künstler, dünnhäutig und hellsichti­g, voller Intuition. Er geht seinen Weg, stur, geradlinig, mit klaren Vorstellun­gen von der Mechanik der Macht, die sich oft hinter den bezaubernd­en oder entsetzlic­hen Liebesgesc­hichten alter Stücke verbirgt. Wenn er Führungsqu­alitäten zeigt und das Teamwork beherrscht, was er am Residenzth­eater in München gewiss praktizier­en musste, hat er gute Chancen, ein überzeugen­der Burgchef zu werden.

Dieses Theater braucht auf jeden Fall neue Impulse: Abstand vom Regietheat­er, das dem deutschspr­achigen Theater gewiss Modernität verschafft­e, nun aber verbraucht ist. Was kommt also auf der Bühne nach Stückzertr­ümmerung, Film, Video oder Popmusik? All diese werden wichtige Elemente des neuen Theaters bleiben. Es sollte sich nicht im Elfenbeint­urm verschanze­n, sondern muss mit sinnlichen Geschichte­n aktuell sein und vor allem die Jugend ansprechen, die sich auch in hedonistis­chen Zeiten vor der Sinnsuche nicht drücken kann.

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