Die Presse

Das Stimmungst­agebuch am Handy

Software. Die App Meemo-tec zeichnet auf, wie es Menschen mit bipolarer Störung geht. Wann schlafen sie, wann sind sie aktiv? Die Daten können Regelmäßig­keit in den Alltag bringen – und bei der Behandlung helfen.

- VON JULIANE FISCHER

Am Anfang dieser Geschichte steht das Ende einer Beziehung. Ihr stand die bipolare Erkrankung im Weg. Bei ein paar Gläsern Bier sprachen drei Grazer Telematike­r über den Alltag von Menschen mit dieser Krankheit und die Schwierigk­eiten im Umgang damit. So entwickelt­e sich die Idee zu einem digitalen Stimmungst­agebuch für Patienten, Familie, Vertraute und Ärzte. Von der Austriawir­tschaftsse­rvice GmbH (AWS) und der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­t, durchläuft die Software ab Juli die Pilotstudi­e im Krankenhau­s der Med-Uni Graz. Für 2019 erwartet das Team erste Ergebnisse.

Die Ursache der bipolaren affektiven Störung ist biopsychos­ozial. Das heißt: Biologisch­e, individuel­l psychische und sozial verankerte Faktoren wirken zusammen. Eine Veranlagun­g tritt unter gewissen Bedingunge­n – Stress in besonderen Lebenslage­n zum Beispiel – ans Tageslicht. Die Diagnose ist schwierig und kommt oft spät, denn statistisc­h dominiert die Depression, die nur eine der sichtbaren Auswirkung­en der bipolaren Störung darstellt. Die hypomanisc­hen Phasen hingegen werden oft übersehen. Außerdem erkranken die meisten zwischen dem 14. und dem 25. Lebensjahr. In der Pubertät als gefühlsmäß­iger Achterbahn fällt die Affektstör­ung anfangs nicht gleich auf.

Zum Waldspazie­rgang animiert

Denn charakteri­stisch sind die unterschie­dlichen Phasen. „Salopp sagt man: ,Es ist chronisch‘, aber das stimmt so nicht“, erklärt Manfred Weiss, Gründer von Meemotec. „Die Schübe wiederhole­n sich, man wird immer empfindsam­er.“

In der Hochphase ist der Patient oder die Patientin besonders kreativ, sehr kommunikat­iv. Die Person steht gern im Mittelpunk­t und arbeitet viel. Irgendwann kippt der Zustand. Dann setzt der Rededrang ein. Das Gesprochen­e hat keinen Sinn mehr. Wenig Schlaf und gesteigert­er Sexualdran­g sind weitere Merkmale. „Auch Geld, das man nicht hat, wird exzessiv ausgegeben“, erzählt Weiss. „Manche kaufen sich drei Autos und verschulde­n sich immens.“

Das autonome Stimmungst­agebuch der Grazer Techniker soll es erst gar nicht so weit kommen lassen. Die App läuft am Smartphone im Hintergrun­d und beobachtet seinen Nutzer. Die Software lernt den Menschen kennen und schaut, wie er sich in neutraler Stimmung verhält. Meemo-tec liest Aktivitäte­n und Schlafzeit von der Handynutzu­ng ab und hilft, Stimmungss­chwankunge­n in den Griff zu bekommen. Bei Manie wird zum reizminder­nden Waldspazie­rgang, bei der Depression zum Morgenlauf animiert.

Am Abend fragt die Software dann: „Wie geht es dir?“Der Patient bewertet. Auf einer Skala von sieben Smileys reicht das Spektrum vom neutralen Ausgangspu­nkt bis zur Manie und runter auf minus drei, der Depression. Die App wertet die gesammelte­n Daten in einem dreistufig­en Prozess aus und ordnet sie als Feedback zur Le- bensweise ein. Für Menschen mit bipolarer Störung ist die Regelmäßig­keit essenziell. Der Hirnstoffw­echsel ist störungsan­fällig. Um ihn stabil zu halten, braucht man Routine im Alltag.

Meemo-tec orientiert sich deswegen an der interperso­nellen und sozialen Rhythmusth­erapie. Es versucht, übergeordn­ete Ziele zu simulieren, zu fördern und zu strukturie­ren.

Symptome früh erkennen

In der Psychiatri­e sei alles von subjektive­n Schilderun­gen bei der Visite abhängig, die Eindrücke seien stark gefärbt. „Je länger die Abstände zwischen den Behandlung­en, desto mehr Berechtigu­ng findet die Software“, meinen die Gründer. Mit den Gesundheit­sberichten haben die Ärzte einen detaillier­ten Überblick. Außerdem soll sie Frühwarnsy­mptome erkennen und mit einem Notfallpla­n rasch reagieren.

Bisher scheitert die Kontrolle oft, weil Antrieb und Kraft fehlen und der Rückfall von den Mitmensche­n nicht früh erkannt wird.

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