Natur oder Maske, was ist schön?
Wer sich schminkt, gestaltet sein Gesicht und wird damit zum Künstler. Eine Salzburger Kunsthistorikerin erforscht den Konflikt zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit.
Zeuxis sollte für die Stadt Kroton ein Tempelbild malen und entschied sich, die schönste Frau der Welt zu malen – die legendäre Helena. Aber wie sollte die Schönste darstellbar sein? Er löste die Aufgabe, indem er die fünf schönsten Mädchen von Kroton auswählte und sein Bildnis aus den jeweils schönsten Einzelteilen der Mädchen zusammensetzte. Die Natur stellt die Grundlagen zur Verfügung, braucht aber die Kunst zur Vervollkommnung. So erzählt der Florentiner Humanist Leon Battista Alberti Ciceros Geschichte vom griechischen Maler Zeuxis nach.
Die Salzburger Kunsthistorikerin Romana Sammern analysierte in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt Texte aus der Frühen Neuzeit zum Thema natürliche und künstliche Schönheit im Spannungsfeld von Kunst und Medizin und folgert: „Es ist die Aufgabe der Kunst, körperliche Schönheit durch kluge Auswahl und geschickte Zusammenfügung herzustellen.“Damit rücken auch kosmetische und medizinische Veränderungen in den Bereich künstlerischer Arbeit und sind so zu legitimieren.
Ein Eingriff in die Schöpfung
Die Praxis des Schminkens, der Gestaltung des Haares, der Körperbildung sowie schönheitschirurgische Korrekturen stehen bis heute in einem Spannungsverhältnis zur natürlichen Erscheinung. Denn diese galt als Ebenbild Gottes, während die menschliche Bearbeitung des Körpers als Eingriff in das göttliche Schöpfungswerk gesehen wurde.
Der Konflikt zwischen Kunst und Natur, Täuschung und Überhöhung wurde auch in Malerei und Kunsttheorie ausgetragen. Dies zeige sich etwa, wenn Natürlichkeit in einem Porträt besonders betont inszeniert ist. „Schminke ist nämlich nicht nur Fälschung. Schminke meint immer auch die Herstellung einer Person durch die Kreation eines Körperbildes. Es gilt, Kosmetik als künstlerisches Verfahren ernst zu nehmen. Das Körperbild wirkt auf die Gestaltung des Körpers ein und umgekehrt“, sagt Sammern.
Medizin und Kunst standen in der Frage in engem Zusammenhang. Der junge Arzt Richard Haydocke übersetzte im 17. Jahrhundert Giovanni Paolo Lomazzos manieristisches Kunsttraktat aus dem Italienischen ins Englische. „Damit sollte Malern und Sammlern eine Vorstellung der italienischen Kunst gegeben werden“, so Sammern. „Doch er beschränkte sich nicht auf die Übersetzung, sondern ergänzte die kunsttheoretischen Ausführungen um medizinische und kosmetische Ratschläge.“
Porträt der ewigen Jungfrau
Angesichts der hygienischen Zustände in der Frühen Neuzeit hält Sammern auch die Koppelung von Kosmetik und Pflege für naheliegend und nützlich. Das Ideal der Schönheit war eng gebunden an das der Gesundheit. Ärzte wiesen auf die gesundheitlichen Auswirkungen kosmetischer Produkte hin, die gravierend waren.
Ein Beispiel dafür ist Königin Elizabeth I, die auf Gemälden idealisiert und perfekt als ewige Jungfrau dargestellt wird, tatsächlich aber schwarze Zähne und ein Hautbild mit tiefen Kratern als Folge einer Bleivergiftung davongetragen hatte. Sie war mit Bleiweiß geschminkt worden. Dennoch verkörperte Elizabeth das ideale Gesicht der Renaissance: eine hohe Stirn, ohne Haare und Falten. Die Haut ebenmäßig und weiß, hervorgehoben durch Wangenröte und rote Lippen.
„Trotz aller Kritik gab der Kosmetikdiskurs Frauen Kreativität und Handlungsfähigkeit in Bezug auf ihren eigenen Körper“, beschreibt Sammern den Wert der Schriften über Kunst und Kosmetik. Gerade dadurch fordere zugleich die Vorstellung der sich schminkenden Frau die Grenzen heraus zwischen Schöpfer und Geschöpf, schöpferischem Subjekt und begehrtem Objekt, Mann und Frau.
Wenn eine Frau sich schminke, nehme sie die Rolle des Künstlers ein, die in der Vorstellung der Zeit Männern vorbehalten sei. In der kunsttheoretischen Tradition der frühen Neuzeit entspringt männliches Kunstschaffen geistiger Kreativität. Weibliches Kunstschaffen dagegen ist quasi als Ver- bindung von Frau und Natur vorgestellt und damit als abbildendes Reproduzieren oder passiv gedachtes, körperliches Gebären. Damit gehört der Kosmetikdiskurs zu den Stereotypen weiblichen Kunstschaffens, weil er den Objektstatus der Frau als Bild und die Verbindung von Frau und Natur hinterfragt.
Künstliche Natürlichkeit
Dieser Gegensatz wird besonders gut in einer Beschreibung eines Porträts des Malers Anthonys van Dyck von seiner Frau, Mary Ruthven, deutlich, die der englische Gelehrte William Sanderson 1658 in seinem Handbuch der Zeichenkunst (oder nur „Graphice“) abdruckte. „Van Dyck war ein Meister gemalter Schminke. Für den schwärmenden Sanderson ist die Schminke als Gesichtsmalerei aber unsichtbar. Das gemalte Gesicht erscheint ihm als ,natürliche‘ Haut Mary Ruthvens selbst und weist durch diese künstliche Natürlichkeit Mary Tugendhaftigkeit aus, die keine Schminke brauche. Damit lobt er zugleich die Bravura des Malers und den Charakter der Ehefrau“, erklärt Sammern.
In diesen Tagen erscheint zu dem Thema ein gemeinsam mit Julia Saviello und Wolf-Dietrich Löhr herausgegebenes Themenheft der kunsthistorischen Zeitschrift „Kritische Berichte“zu „gemachten Menschen“( www.ulmerverein.de/?page?id=13320).
Eine kommentierte Sammlung von Quellentexten zur Schönheit des Körpers als Ideal von der Antike bis zur Etablierung der Ästhetik um 1750 wird das dreijährige Forschungsprojekt an der Uni Salzburg abschließen. Der zeitliche Schwerpunkt des Buches liegt in der Frühen Neuzeit, da die kosmetische Veränderung des Körpers nun zunehmend mit Konzeptionen des künstlerischen Bildes und Werkprozesses eng geführt wurde. Den zentralen Schnittpunkt bildet hierbei das sowohl in der Kosmetik wie auch in der bildenden Kunst virulente Verhältnis zur Natur. Das mit Julia Saviello herausgegebene Buch wird 2018 im Reimer Verlag veröffentlicht.